("Selbst Aya hat versprochen, niemals zu gehen, und dann?")
(Herbstblätter fallen von den Bäumen vor einem blaublaublauen Himmel, die Straße ist trocken und weit und teilt sich in drei Richtungen. Bis hierhin sind sie gemeinsam gekommen, und nun, weil sie die Zeit nicht zurückdrehen und Taten nicht ungeschehen machen kann, sieht Finn Aya in die andere Richtung davonreiten. Sie will Aya zurückrufen. Sieht den schmalen Rücken vor dem strahlend blauen Himmel, umrahmt von leuchtend gelben und brennend roten Blättern, die durch die Luft segeln. Die Kälte eines klaren Tages liegt in der Luft, die Sonne scheint hell, und Finn will hinter Aya herrennen und sie zurückzerren, wenn es sein muss - doch sie weiß, mit jedem Griff nach Aya, jedem Versuch, sie festzuhalten, wird Aya weiter in die Ferne rücken.)
Am Himmel kann man jeden einzelnen Stern erkennen - Fackeln leuchten und glimmen, aber sie sind nichts gegen all die Finsternis und Kälte. Finn zittert, obwohl sie neben einem Feuer sitzt, ihre Zähne klappern so stark, dass sie auf ihren zerschlissenen Ärmel beißt, um nicht ihre Zunge zu verletzen. Ayas besorgte, mitleidige Blicke helfen ihr nicht im Geringsten, ein starkes Äußeres zu wahren. Keine Kraft mehr. Nur noch Aya vor sich beschützen, vor diesem Husten, der ihr die Brust verstopft und die Kehle zerreißt, der sie schüttelt und ihr die Luft zum Atmen stiehlt.
Finn kauert sich zusammen, zwingt sich, immer wieder kleine Schlucke zu trinken von ihrem brackigen Flusswassern, und versucht, einfach durchzuhalten.
"Hier."
Aya streckt ihr einen Holzbecher hin, in den sie heißes Wasser aus ihrem Kesselchen gefüllt hat. Finn schiebt die Hände aus den vielen kaputten, zerschlissenen Stoffschichten hervor, und durch die kalte Nachtluft erschauert sie noch stärker. Der Stoff fällt ihr aus dem Mund, und laut klappern ihre Zähne, als sie gänzlich erfolglos versucht, den Becher gut festzuhalten.
Reiß dich zusammen, schreit sie sich in Gedanken an, aber Aya seufzt und hält Finn vorsichtig den Becher an die Lippen. "Pass auf, das ist kochend heiß.", warnt sie noch. Finn verbrennt sich trotzdem Zunge und Gaumen, aber das ist ihr völlig egal. So lenkt sie sich wenigstens von den Halsschmerzen ab.
Schlückchen für Schlückchen flößt Aya ihr das heiße Gebräu ein. Zwischen Hustenanfällen, die ihr Tränen in die Augen treiben, Schüttelanfällen und dem Versuch, wieder heißes Wasser mit irgendwelchen Waldkräutern ihre Kehle runterzuzwingen, fragt Finn sich, ob sie sterben wird. Und was dann mit Aya geschähe.
Quatsch nicht, scheltet sie sich. Sie mag aussehen wie eine Zehnjährige, aber sie ist erwachsen. Sie hat schon auf sich alleine aufgepasst, bevor du sie getroffen hast. Und im Moment ist sie es übrigens, die dich bemuttern muss, weil du dich nicht zusammenreißen kannst.
"Tut mir Leid, Aya.", will Finn krächzen, aber es kommt nur ein heiseres Fiepen aus ihrer Kehle. Trotzdem lächelt Aya.
"Ist doch selbstverständlich, du Vollmondsidiot.", sagt sie kopfschüttelnd. "Und jetzt trink."
Finn schüttelt den Kopf, als sie sich vor lauter Wasser im Bauch fast schon wieder übergeben muss, und Aya versteht und legt den Becher beiseite.
Zitternd kauert Finn sich wieder in sich selbst zusammen und merkt erst dann, dass Aya sich vor sie kauert, zwischen Finns Beine und mit dem Rücken zu ihr, und Finns gefühlt gefrorene Arme um sich zieht, Finns gefühlt eiskalte und eigentlich fieberheiße, nassgeschwitzte Hände in ihre eigenen, schmal und glatt und wunderbar warm.
"Du steckst dich noch an.", will Finn wieder einwerfen, aber ihren heiseren Krächzlaut ignoriert Aya diesmal völlig.
"So leicht werde ich schon nicht krank.", sagt sie nur.
Und Finn hat keine Kraft, zu widersprechen. Nicht die Willensstärke, Aya, die sie selten genug auch nur umarmen darf, von sich zu stoßen, nicht einmal zu deren eigenem Wohl.
Du bist so ein selbstsüchtiger Charakter, schimpft sie sich selbst aus, klammert sich aber an Aya wie eine Erfrierende an den letzten Ofen der Welt.
Tränen strömen über ihr schmutziges Gesicht, die verstopfte Nase läuft, ihre Kehle schnürt sich zu, sodass jeder Atemzug nach kaputtem Blasebalg klingt, aber Aya bleibt bei ihr. Immer wieder mit einer Hand durch Finns verschwitzte, verzottelte Haare streichend, die Strähnen liebevoll ordnend, während Finn ihr Gesicht in die Kuhle zwischen Ayas Hals und Schulter vergräbt.
"Keine Angst.", wispert Aya. "Keine Angst, Finn. Es wird alles wieder gut."
Und für diese Worte liebt Finn sie.
Samstag, 22. September 2012
Samstag, 15. September 2012
Serafin - Gerüchte aus einem Söldnerleben III
„Was ist denn mit euch los? Hier
drinnen seid ihr doch in Sicherheit! Die können hier nicht rein!“, rief sie,
skeptisch den Schutzkreis auf dem Boden beäugend, in den sie alle sich
drängten. Da war die Heilerin, deren Namen Serafin gerade irgendwie entfallen
war, jene, der sie noch vor ein paar Stunden ihren Dolch geliehen hatte, damit
sie wenigstens ein wenig auf sich selbst aufpassen konnte. Nun hielt diese
Heilerin ebenjenen Dolch zwischen sich und Serafin, die Augen angstvoll
aufgerissen.
„Die nicht. Aber du.“, entgegnete
Sairon, und sein Schwert richtete sich auf Serafins Hals. „Komm nicht einen
Schritt weiter, Finn. Bleib da stehen. Ich meine es ernst.“
„Du würdest mich töten?“, fragte
sie, das Grinsen verschwindend, die Mundwinkel sinkend. Tränen in den Augen. „Du
würdest mich wirklich töten? Aber wir sind doch Freunde!“
„Wenn du weitergehst, sind wir
das nicht mehr, Finn. Bleib da stehen. Ich will nicht, aber ich werde
zustechen.“
Serafin sah ihm tief, tief in die
Augen, während sie stehen blieb, mit den Füßen halb im Schutzkreis, von dem sie
nichts spürte außer Kälte wie von einem Luftzug.
„Du meinst das ernst.“, wisperte
sie. „Du würdest mich tatsächlich töten. Wir sind doch Freunde.“
„Bleib da stehen.“
„Freunde.“ Trat einen Schritt
vor.
„Finn, bleib da!“, schrie Sairon, und Finns Nase zuckte, ihre Augen
weiteten sich. Sie sah alles so überdeutlich, der Lärm, den die Wesen auf der
anderen Seite der Eingangsbarriere machten, dröhnte in ihren Ohren, der Geruch
der Menschen vor ihr schien ihr die Nase zu verstopfen. Genauso deutlich sah
sie die Angst in den Augen ihrer Freunde. Sah, wie Sairon die anderen
beschützend hinter sich schob, jene, denen Serafin geholfen hatte im Kampf
gegen die Eingeborenen. In ihrem Magen brannte die Wut darüber, Wut über Verrat
und Einsamkeit, wie ein heißes Feuer, aber sie machte einen Schritt vor.
„Ich bin doch immer noch Finn.“,
wisperte sie, und in dem Moment, in dem Sairons Klinge auf sie zufuhr, spürte
sie nur noch etwas Kaltes im Nacken.
Und sank niedergeschlagen und
bewusstlos zu Boden.
Ihr Kopf schmerzte, aber das war
der Schmerz einer Fremden. Echter Schmerz brannte in ihrem Magen und loderte hell
auf, als Serafin merkte, dass sie gefesselt in der Taverne saß. Hände, Füße,
sogar noch einmal an den Stuhl gebunden.
„Und was soll das jetzt?!“, rief
sie, die Wut unterdrückend, weil sie wusste, dass das keine Lösung war.
Misstrauische Blicke waren ihre Antwort. „Ich weiß, ich hab mich ab und an
vielleicht komisch verhalten, aber mich niederschlagen?“
„Du verwandelst dich, Serafin.“
Nein, dachte sie. Nein. Ich
verwandle mich nicht. Ich bin immer noch ich. Immer noch ich. Immer noch Finn. „Hab
ich spitze Zähne? Fell irgendwo? Wolfsaugen? Nein? Also verwandle ich mich auch
nicht.“ Immer noch ich. Die Wölfe meine
Freunde. „Hab ich jemanden beißen wollen? Nein. Okay?“
„Das kann noch kommen, Serafin.
Im Moment bist du vielleicht noch du selbst. Vielleicht auch schon nicht mehr,
woher sollen wir das wissen?“ Sairon sah sie an mit bitterernster Miene, der
Hand an seinem Schwert und großem Sicherheitsabstand. „Wir können dir nicht
mehr trauen.“
„Selbst wenn ich euch sage, dass
ich immer noch ich bin?“, fragte sie ernst, jegliche Grinsereien verschwunden. „Selbst
wenn ich es euch verzeihen würde, mich niedergeknüppelt zu haben?“
Sairon blickte sie an, Finsternis
in den Augen. „Ja.“, sagte er. „Selbst dann.“
Und Serafin begann zu verstehen,
dass sie etwas verloren hatte.
„Das heißt, sobald deine Freunde
sich verändern, beginnst du, sie zu schlagen. Wenn sie etwas tun, was du nicht
verstehst, wendest du ihnen den Rücken zu. Wenn sie dir sagen, du kannst ihnen
vertrauen, dann hörst du auf, sie deine Freunde zu nennen.“ Unbewusst immer
lauter werdend, aber dafür verstand Finn langsam.
„Wenn sich jemand verändert, dann
stößt du ihn fort, anstatt erst einmal zu versuchen, ihn zu verstehen.“,
knurrte sie. „Aber kein Problem, Sairon. Dann hau halt ab. Ich hätts mir ja
denken müssen. Wenn Menschen was Neues akzeptieren müssen, dann lehnen sie es
lieber vollständig ab, anstatt es zu verstehen.“
„Finn …“
„Früher oder später gehen sie
alle.“, knurrte sie, und diesmal war er es, der unter ihrem Blick als Erster
wegsah.
Und hinausging.
Die Heilerin warf Finn einen
bedauernden Blick zu, aber auf Finn Grinsen hin lächelte sie nicht zurück,
schüttelte nur den Kopf. „Könnt ihr mich nicht wenigstens losbinden?!“, rief
Finn ihnen noch hinterher, als sie hinausgingen, wo weiter weg, bei ihrem Camp,
Alarm vor Eingeborenen geschlagen wurde. „Ich hau auch ab! Ihr braucht mich nur
losbinden, dann seid ihr mich los!“
„Wir wollen dir doch helfen!“,
rief die Heilerin, irgendwas mit E, Finn erinnerte sich beim besten Willen
nicht mehr. Tränen hatte sie in den hellen Augen. „Wir finden bestimmt
irgendwas, womit wir dir helfen können, aber dafür musst du hier bleiben!“
Und Finn sah sie an. „Ich bin
nicht krank.“, knurrte sie. „Ich brauche keine Hilfe.“
Das Mädchen schluchzte auf, lief
den anderen hinterher. Finn bemerkte, dass nur noch eine Person übrig geblieben
war, die sie zuvor gar nicht bemerkt hatte, weil sie sich leise weinend im
Hintergrund gehalten hatte.
„Na los.“, wisperte sie. „Hau ab.
So machst du es für uns beide leichter.“
Eorindiel kniete sich neben sie,
die Hände auf Finns Knie, das Gesicht ein Spiegel des Elends. „Serafin, ich …“
„Jeder geht irgendwann. Mein
Vater ist als Erster gegangen. Meine Mutter ist gegangen.“
(Hast sie selbst gehen lassen, Finn, wispert es in ihrem Kopf, hast sie
doch immerhin selbst verbrennen lassen, aber Finn schüttelt den Kopf. Sie hat
sich schon Jahre vorher von mir abgewendet, denkt sie, sie ist schon lange vor
ihrem Tod weggegangen)
„Jeder Landstreicher wendet sich
gegen dich, sobald du Kupfer oder Essen in den Taschen hast. Jeder Söldnerkollege, wenn es nur
genug Kupfer ist. Selbst Aya hat versprochen, niemals wegzugehen, und dann?“
(Herbstblätter fallen von den Bäumen vor einem blaublaublauen Himmel,
die Straße ist trocken und weit und teilt sich in vier Richtungen, und Finn
sieht Aya davonreiten in die ihr entgegengesetzte Richtung, während leuchtend
gelbe und flammend rote Blätter durch die Luft segeln und trotz klarer Luft und
heller Sonne Kälte in der Luft liegt, will Aya zurückrufen, hinter ihr
herrennen und sie zurückzerren, wenn es sein muss – und doch weiß sie, dass mit
jedem Griff nach Aya diese noch weiter von ihr fortlaufen wird.)
„Ist auch Aya gegangen.“,
wisperte Serafin.
„Ich … Finn, wir wollen doch nur
helfen!“
„Mir muss nicht geholfen werden!“,
schrie Finn. „Warum könnt ihr nicht einfach hinnehmen, dass ich mich verändert
habe?! Warum könnt ihr mir nicht vertrauen, wenigstens du?!“
„Aber wie sollen wir denn wissen,
dass du noch du selbst bist? Woher sollen wir denn wissen, dass du uns nicht
anlügst?“, rief die Elbin, die Haare zerzaust, die Augen verweint, aber vom
schlechten Gewissen war Serafin nun meilenweit entfernt.
„Genau darum geht es beim
Vertrauen, Eorindiel.“ Sie sah die Elbin an, kein Grinsen im Gesicht, kein
fröhliches Freunde! auf den Lippen. „Du kannst es nicht wissen, du musst einfach blind vertrauen. Blind. Früher
oder später verliert das jeder. Und das ist der Punkt, an dem jeder geht. Genau
wie du einmal gehen wirst, weil du mir nicht mehr vertraust. Jeder haut
irgendwann ab, also kannst du mich auch jetzt schon aus deinem Leben schmeißen,
wenn du kein Vertrauen mehr in mich hast.“
Tränen liefen über die blasse
Elbenhaut, und in Serafins Magen brannte blanke Wut, die eiskalte, gefrorene
Tränen der Einsamkeit überstrahlte.
In der Ferne rief jemand nach der
Elbin, irgendein Magiefirlefanz, irgendein unwichtiges Ritual, für das sie
gebraucht wurde.
Eorindiel warf Finn einen langen
Blick zu, wisperte „Es tut mir Leid, Finn. Wir wollen doch nur helfen.“ und
ging.
Finn blieb zurück.
Alleine.
„Jeder geht irgendwann.“,
wisperte sie und sah den schmalen Rücken vor dem strahlend blauen Himmel,
umwirbelt von Herbstlaub, vor sich. „Aya ist gegangen. Und du wirst auch
irgendwann gehen.“
Dienstag, 11. September 2012
Serafin - Gerüchte aus einem Söldnerleben II
Langsam dämmerte die Welt, und
langsam sammelten sich ihre Gedanken wieder.
Keine Schmerzen, merkte sie, aber
irgendwie kam ihr das nicht sonderlich merkwürdig vor. Sie blickte auf ihre
Schulter, sah Narbengewebe, das sich bis zum Hals hochzuziehen schien, alles
schon verheilt, nur grobe, dicke Narben zurücklassend. Serafin wusste, dass
jemand sie magisch geheilt hatte.
Aber irgendwie machte ihr das
nicht allzu viel aus.
„Sie ist wach!“, rief jemand, sie
blickte nach vorne. Sie saß in der Taverne, neben sich ein anderer Verwundeter,
Heiler um sie herum und jener Bote, der schon versucht hatte, zu helfen. Ihr
Prinzesschen war da, und auch jene Heilerin, die ebenfalls den Werwolf sehen
konnte.
Zu spät, wisperte es in ihrem Kopf.
Der Botenläufer, Sairon, war da
und sah ihr in die Augen. „Hey. Wie geht’s?“
Serafin blinzelte, etwas
unschlüssig. „Tut nicht mehr weh.“
Grinste breit. Sairon kniff
misstrauisch die Augen zusammen, als Serafin den Kopf in den Nacken lehnte,
sich umsah. Sich vorsichtig bewegte. „Hui.“, grinste sie. „Tut gar nichts mehr
weh. Ich fühl mich so … so hui!“
Und grinste noch breiter.
Eine der Heilerinnen legte ihr
die Hand auf den Kopf. „Sie hat kein Fieber … aber die Wunden sind geheilt.“
„Ich fühl mich richtig gut.“, grinste
Serafin. „Hey, scheiß magische Heilung, aber mir geht’s … hui!“
„Da stimmt doch was nicht mit
ihr.“, wisperte einer. „Hat sie noch mehr abbekommen?“
„Holt mal einen der Magier her!“
(Sie sah die misstrauischen Blicke der anderen, aber sie grinste, denn
alles fühlte sich so wunderbar an. So HUI)
Der Magier kam.
„Ihr habt die Wunde doch vorher
gesäubert?“
Die Heilerin nickte, schüttelte dann
aber den Kopf. „Naja … wir haben sie ausgewaschen, dann verbunden und geheilt.“
(Serafin dreht den Kopf, hört zufrieden das Knacken in den Gelenken,
während alles in viel stärkeren, kräftigeren Farben leuchtet, und grinst
erneut. Gute Laune. Ganz wunderbare gute Laune.)
„Ja, seid ihr denn von Sinnen!“,
tobte der Magier. „Durch einen Werwolfbiss gelangt doch das Gift in die Adern,
und das müsst ihr vor der Heilung entfernen lassen! Da kommen wir jetzt nicht
mehr ran!“
(Skeptische und etwas ängstliche Blicke treffen auf Serafin, sie grinst
und wundert sich, warum die anderen nicht zurückgrinsen)
Sie ließen sie in der Taverne
zurück, bei den Heilern, während Serafin sich noch umsah, denn draußen wurde
noch immer gekämpft, und andere beobachteten Serafin. Doch als die unsichtbaren
anderen sich zurückzogen, als wieder Ruhe einkehrte im Lager, da stand Serafin
einfach auf und ging hinaus. Einerseits wartete sie darauf, dass jemand sie
aufhalten würde, doch nur Rufe folgten ihr. Sie ging zurück in ihr Lager, zu ihren
Freunden, die dort alle saßen, und grinste ihnen zu, ihr Schwert in der Hand,
das viel leichter geworden zu sein schien. Sie wirbelte es durch die Luft,
staunte über ihre neue Körperbeherrschung und verzog beleidigt das Gesicht, als
sie die misstrauischen und erschrockenen Mienen ihrer Freunde sah.
„Bist du sicher, dass du draußen
herumlaufen solltest?“, fragte Sairon sie, mehrere Schritte Abstand wahrend,
und Serafin grinste. Dehnte ihren Kopf einmal rundherum. Breitete die Arme aus.
„Mir geht’s doch gut!“, antwortete sie enthusiastisch. „Mir
ging‘s noch nie so fantastisch!“
Sie schnüffelte. Die Luft roch
anders. Neu. Bekannt, und doch sind da auf einmal so viel mehr Gerüche als je
zuvor. Sie roch die Freunde, roch den süßen Elfenduft und den Gestank von
Menschenschweiß, roch Blut in der Luft, roch feuchte Erde, die Blumen, die dort
hinten wuchsen, den Duft aus der Taverne, roch Nadelbäume und würziges Gras.
(Und alle weichen von ihr zurück)
„Vielleicht sollte jemand ihr die
Waffen wegnehmen.“, wisperte jene Heilerin, die den Wolf auch sehen konnte
(zu spät, zu spääät, Serafin stand alleine da)
und obwohl sie so leise gewispert
und nicht sehr dicht bei Serafin gestanden hatte, verstand diese das sehr
deutlich.
„Aber mir geht’s doch gut!“, rief
sie erneut, und Eorindiel schüttelte den Kopf.
„Du drehst durch!“, antwortete
sie, mit so fester Stimme wie möglich. „Du verwandelst dich vielleicht gerade
in einen Werwolf, Finn!“
„Aber ich verwandle mich doch gar
nicht! Sind meine Zähne spitzer geworden?“ Wie zum Beweis riss sie den Mund
auf, und zögerlich schüttelte die Elfe den Kopf. „Wachsen mir Haare auf den
Zähnen? Fange ich an, jemanden zu beißen? Will ich auf einmal blutiges Fleisch
essen? Nein!“
Doch sie sah an den Gesichtern
ihrer Freunde, dass es nach deren Meinung keinesfalls so bleiben musste.
Und dann griffen die Eingeborenen
erneut an – und mit ihnen kamen die Werwölfe zurück. Serafin sah ihn, ihren Freund, und lief auf ihn zu, das Schwert
gesenkt, die Arme ausgebreitet, ein breites Grinsen. Die Möglichkeit, von ihnen
angegriffen zu werden, kam ihr gar nicht erst in den Sinn, die Wölfe waren ihre
Freunde, sie rochen so richtig, ihr
eigener Herzschlag schien sich in Einklang mit ihnen zu befinden.
Der Wolf zerfetzte sie nicht.
Schien erst misstrauisch, doch auch Serafins Geruch hatte sich verändert. Er
schnüffelte ausführlich, knurrte erst leise, rieb dann den Kopf an ihrem, und
sie lachte, schnüffelte. Heulte in den Himmel, und er heulte mit ihr.
Die Wölfin packte sie, schob sie
mit sich, und Serafin ging bereitwillig mit ihr. „Serafin!“, schrie Eorindiel, „wo
willst du denn hin?! Jetzt komm zurück!“
Und Serafin grinste. „Aber ich
will nicht. Es sind meine Freunde, Eo.“
Die Elfe hatte Tränen in den
Augen, und früher hätte Serafin das zu allem getrieben. Aber jetzt verstand sie
nicht mehr, wie sie Angst hatte haben können vor ihren Freunden
(Alle waren ihre Freunde!)
und die Elfentränen riefen nur
Unverständnis und Verwunderung in ihr hervor.
„Denk an Aya!“, schrie Eo, so
verzweifelt, dass es Serafin einst das Herz zerrissen hätte. Doch Serafin
drehte sich um und ging, folgte den Wölfen. „Denk doch an Aya! Wenn du sie
wiederfindest, willst du dann, dass sie von dir getötet wird?!“
Serafin blieb tatsächlich stehen
und blickte sich um. Sie dachte nach, und ihr Gedächtnis war nur das ihre.
„Ich vertraue Aya.“, wisperte
sie. „Grenzenlos. Und sie vertraut mir. Ich werde sie nicht in Stücke reißen.
Denn sie wird mir vertrauen, das nicht zu tun.“
Serafin drehte sich um.
Vor ihr stand einer der
Eingeborenen. Einer der Berserker. Er grinste breit, sie grinste zurück,
streckte die Arme aus, in einer Hand ihr geliebtes Schwert, sah noch die
Knochenkette, die um seinen Hals hing, und da zog er bereits seine Klinge über
ihr Bein. Sie schwang bereits ihr Schwert, da drehte er sich schon um und nahm
Reißaus, aber Serafin starrte fasziniert auf die Beinwunde.
„Guck mal!“, rief sie überrascht
der Heilerin zu, die bereits angerannt kam. „Das tut gar nicht weh! Warum hat
der mich angegriffen? Warum macht der sowas Gemeines? Ich hab ihm doch gar
nichts getan!“
„Tja, es sind nun einmal Wilde.“,
gab die Heilerin schulterzuckend zurück, doch ihre Augen verfolgten
schreckensgeweitet, wie Serafin mit dem Finger in ihrer Beinwunde herumpulte
und fasziniert auf ihr eigenes Blut starrte.
„Tut gar nicht weh.“, stellte sie
begeistert fest. Stand auf. Eo vor sich, die bereits mit ihrer Tirade
fortfahren wollte, und schon näherte sich auch wieder der Werwolf, Serafin roch
ihn, grinste noch begeisterter, mit noch mehr Zähnen, und Eo packte sie bei den
Schultern. „Du bleibst hier!“
Eine Antwort blieb Serafin
erspart, denn da erschien der Golem.
Sie konnte ihn nicht sehen,
konnte nur auf Erzählungen und Reaktionen der anderen bauen, aber sie sah, wie
das Gras sich unter dem massiven Gewicht bog, als der Golem direkt neben ihr
entlang ging. Die Elfe sah ihn später, als Serafin ihn bereits gerochen hatte,
und unter einem lauten Schreckensschrei rannte sie davon, in einer
Geschwindigkeit, derer nur Elfen mächtig sein konnten. Serafin grinste. Sie
hatte keine Chance, dem zu folgen, und sie konnte die Elfe auch nicht vor
diesem Wesen beschützen, das sie nicht einmal sehen konnte.
Also brauchte sie gar nicht erst
versuchen, hinterher zu rennen. Also konnte sie den Wölfen folgen.
Sie humpelte zur Taverne, vor der
die Wölfe standen. So, wie die anderen kämpften, stand da auch der
Schattenkrieger, aber es waren die Wölfe, die Serafin vor allem witterte. Innen
drin drängten die anderen sich in den Schutzkreis, das konnte sie sehen, doch
Wölfe und Schattenkrieger waren trotzdem dazu verdammt, vor der Taverne gegen
die Schutzbarriere zu schlagen. Jene Barriere, die Serafin zuvor ebenfalls
hatte übertreten dürfen, weil sie ja nur ein Mensch war.
Sie grinste. Schnüffelte an ihren
Wolfsfreunden, heulte auf, und fragte sich, ob sie diese Barriere wohl immer
noch übertreten konnte. Schwang ihr Schwert.
„Serafin, bleib da draußen!“,
rief Sairon. „Ich mein es ernst!“
Und dieses Misstrauen, dass sie
in den Augen ihrer … Freunde? … sah, diese Angst vor Serafin selbst, das ließ
zum ersten Mal Risse in Serafins Herzem entstehen.
Ihr Grinsen wurde schlecht
gelaunter. Sie trat vor – und keine Barriere schlug sie zurück.
Serafin grinste, und jene, für
die Serafin nur noch ein Monster war, starrten schreckensstarr zurück.
Montag, 10. September 2012
Serafin - Gerüchte aus einem Söldnerleben I
Der Werwolf war nicht allzu groß,
nicht größer als Serafin selbst. Sie hatte ja auch schon mit ihm gekämpft,
diesem Wesen, das nur manche zu sehen schienen – und ausgerechnet die großen
Kämpfer, die mit Rüstungen und großen Waffen, sahen ihn nicht. Ausgerechnet
jene mit den Stangenwaffen und Helmen standen ratlos herum, während Serafin
sich bereits umdrehte und rannte. Bis ihr die Berserker entgegenliefen. Gegen
die konnten die anderen sich zwar wehren … aber dann drehte sie sich wieder um.
Der Werwolf war schnell.
(Sie kämpfte schon vorher gegen ihn, und da war sie noch nicht alleine,
da war jener Ritter Leichtsinn noch bei ihr, der sich immer vorstürzte, in die
erste Reihe, der auch flüchtenden Feinden noch hinterherrannte, ohne mehr als
sein Schwert zu besitzen. Er kämpfte gut, er kämpfte furchtlos, und mit ihm
brachte sie den Werwolf zweimal zu Fall, zwang ihn zum Rückzug. Und immer
wieder kehrte er zurück, seltsamerweise, sie besiegte ihn erneut, bezog an
diesem Tag die Prügel ihres Lebens, blutüberströmt und mit Verbänden eingewickelt,
Schmerzen überall, als Ritter Leichtsinn dann zu mutig wurde. Sie sah nur noch,
wie die anderen Gefährten um die Leiche mit dem abgetrennten Kopf herumstanden,
und sah sich um.
Außer ihr sah eine Heilerin den Werwolf, die völlig unbewaffnet war.
Eine Tänzerin sah ihn ebenfalls. Einer der Schwergerüsteten sah ihn auch, aber
der war nie da, wenn man ihn brauchte. Ritter Leichtsinn starb.
Und als der Werwolf erneut wiederkehrte, stand Serafin alleine da.)
Nun, zumindest sieht Prinzesschen ihn nicht. Macht den Job einfacher,
wenn ich nur mich zu beschützen habe, dachte sie mit begrenzter
Erleichterung. Ihre Lohnherrin befand sich direkt neben ihr.
Der Werwolf griff an, und Serafin
konnte nicht mehr rennen. Sie schlug sich recht gut, wenn man all die
Verletzungen bedachte, und doch stand sie alleine da, über und über mit Wunden
bedeckt von vorherigen Kämpfen. Als er ihr so nahe kam, dass sie dem
abgerissenen Arm in seiner Klaue die Hand hätte schütteln können, drehte sie
sich beiseite, wollte ihn umlaufen, und seine andere Kralle ritzte ihr den
Rücken auf.
„Ich könnte hier Hilfe
gebrauchen!“, schrie sie, nur mäßig hoffnungsvoll, doch sofort war der Knappe
des wirklich großen Ritters bei ihr. „Wo ist er denn?!“, schrie er zurück, „Wo
denn?!“
Keine große Wunde. Sie schlug,
traf seine Knie, und das brachte ihn zu Fall, als er stolperte, doch die
Krallen streckten sich nach ihr aus, und Serafin konnte doch nicht mehr rennen.
Sie humpelte bereits nur noch, und als sich seine Krallen in ihr Bein bohrten, fiel
auch sie.
„Direkt vor mir!“, schrie sie,
und die Hellebarde von Knappe Friedrich schlug in den Werwolf.
Er zog sich zurück. Ein Stück.
Eorindiel, Prinzesschen und
Lohnherrin, ließ sich neben Serafin fallen, während andere sich um sie
stellten, und begann mit ihrer magischen Elfenmagie, die Wunden zu heilen. Und
Serafin schrie.
(Ihr Vater, der große Magier, der sie hasst, der sie jagt. Magier,
deren Zauber schief laufen und deren Rituale Stunden brauchen. Serafins eigene
unterdrückte magische Ader, die ihr keine Kontrolle erlaubt, die Dinge in
Flammen aufgehen oder explodieren lässt, wenn sie wahrhaftig versucht, Magie zu
verwenden. Sie hasst Magie. Sie lehnt sämtliche Berührung mit ihr ab. Und als
ob sie versucht, sich selbst ihre Unabhängigkeit von der Magie und somit von ihrem
Vater zu erklären, stößt sie das Prinzesschen von sich, unter den Schreien und
Schmerzen, die ihr diese magische Heilung bereitet.)
„Lass mich dich doch heilen!“,
schrie Eorindiel, die von dieser Ablehnung wusste, aber doch nur zu helfen
suchte. Und hinter ihr sah Serafin den Werwolf. Er rannte nicht, aber das musste
er auch nicht, denn ihr Schwert lag zu weit von ihr weg. Die sichere Taverne
unerreichbar weit weg. Sie konnte nicht mehr rennen, das wusste er auch, denn
er ließ sich Zeit. Zeit genug, dass Serafin rückwärts kroch, den Blick auf ihn
gerichtet, denn sie wusste, würde sie sich umdrehen, schlüge er die Krallen in
ihren Rücken. Erneut.
Er ließ sie kriechen, geht langsam,
langsam hinter ihr her. Er hatte sich dieses Gesicht gemerkt, realisierte
Serafin schreckensstarr, als sie nach ihrem letzten Wurfdolch tastete. Wirft.
Ihn in die Seite traf, aber das war zu wenig, lässt ihn nur zusammenfahren,
nicht einmal taumeln.
„Wo ist er?!“, schreit einer
ihrer Freunde, die Waffe vor sich, aber diese unsichtbare Bedrohung kann er
nicht sehen.
„Direkt vor mir!“, ruft sie
zurück, Schmerzen im Atem und außer Puste. Der Kämpfer, ein ehemaliger Bote,
mit beeindruckenden Schwertfähigkeiten, holt aus, aber der Werwolf geht nur
einen Schritt beiseite, und der Bote trifft nur Luft. „Weiter links!“, schreit
Serafin, kriecht rückwärts, eine Spur aus Blut hinterlassend. Aber der Werwolf
braucht immer nur einen Schritt ausweichen. Als sie den zitternden Arm hebt und
auf ihn zeigt, da beendet er das Spielchen, stürzt sich auf sie, verbeißt sich
in ihre Schulter.
Und Serafin schreit.
Ihre Gefährten sehen nur Blut in
die Luft spritzen.
Dadurch allerdings finden ihre
Waffen endlich das Ziel. Der Werwolf lässt los, und Serafin versinkt in
Finsternis.
(Schmerzen)
Schmerzen durchbrachen
Finsternis. Sie reißt schreiend die Augen auf, nimmt kaum mehr wahr, als dass
sie immer noch im Gras liegt, und schreit, schreit, schreit sich die Kehle
wund. Fell ist kaum eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt, sie sieht seine
Augen im Blutrausch, sieht ihr eigenes Fleisch zwischen seinen Zähnen hängen …
(Grauenhafte Schmerzen, die ihr die wohltuende Finsternis stehlen)
… wälzt sich schreiend im Gras.
Etwas Weißes blitzt auf, und sie weiß, dass es der Knochen in ihrer linken
Schulter ist, an der der Werwolf herumnagt. Schreit.
Hört kaum die hilflosen Rufe und
Fragen ihrer Freunde, die erneut die Waffen schwingen dorthin, wo sie aufgrund
der Schreie und des spritzenden Blutes und der verschwindenen Fleischfetzen den
Wolf vermuten. Treffen.
„In die Taverne! Tragt sie in die
Taverne, zum Schutzkreis!“, schreit einer, und das versteht sie schon kaum
mehr, als selbst die immensen Schmerzen nicht mehr ausreichen, um Finsternis
fortzuhalten.
Als Serafin wieder aufwacht, ist alles anders.
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