Dienstag, 28. August 2012

"Wir müssen reden."

Gerade hab ich mit Henning Schluss gemacht.

Übers Telefon. Ich denke, bei einer Fernbeziehung kann man das erlauben. So feige bin ich nicht, dass ich ihn mit Mail oder SMS abgespeist hätte.

Und egal, wie freigelassen ich mich jetzt fühle, es bleibt ein schaler Geschmack. Wie erklärt man, dass man völlig überrumpelt worden ist?

Und wie fängt man so ein Gespräch an, wie kann man jemanden vorsichtig darauf vorbereiten, dass man sich jetzt von ihm trennen wird? "Ich muss mit dir reden"? Jeder Volldepp würde die Andeutung schon einmal verstehen. Wie begründet man dann, dass eine winzige Schwärmerei niemals mehr gewesen ist?

Der einzige Trost für mich ist, dass er sagte, über diese kurze Zeit sei aus der leichten Verliebtheit noch keine tiefe Liebe bei ihm geworden, insofern bin ich wohl desbezüglich beruhigt, dass er ganz gut darüber hinwegkommen wird.

Gibts zum Schluss machen überhaupt die richtigen Worte?

Dienstag, 21. August 2012

Fake It

Ich würde hier gerne über das Drachenfest schreiben. 35 Grad tagsüber, nachts kaum kälter, eine Plänklergruppe, in der ich tatsächlich vollwertiges Mitglied war. Bei Hitzegewitter unter einem Sonnensegel sitzen, der Tisch sich unter Getränken biegend, und Würfeln. Wunderbare Menschen, die man dort kennen lernt. Weniger wunderbare, die sich nach nur ein paar freundlichen Worten deutlichste Hoffnungen auf mehr machen und mit der Zeit ziemlich aufdringlich werden, aber in Gesellschaft der anderen auf Abstand gehalten werden können. Neblige Nächte, Sicht kaum mehr als wenige Meter, Orks rücken aus, der Limbus bei Nacht mit weißen Masken im Dunkel, nachdem ich mich vorher mit Slender, SCP-087 und Nightmare House zugedröhnt habe. Untotenwarnung. Angeheitert und unbewaffnet in Orks hineinrennen und Klopfstreiche beim Kupfernen Lager. Für vier Kupfer. Bei der Endschlacht von hinten niedergemetzelt werden, während der Gegner von vorne alle Treffer einfach ignoriert und weitermacht, als hätte ich einen Grashalm statt Schwert in der Hand gehabt. Um vier Uhr morgens ins Bett sinken und um halb acht aus dem gefühlte vierzig Grad warmen Zelt kriechen.

Das war das Drachenfest. Nach Leiopzig zurückfahren, wenige Stunden zum Umpacken haben, dann weiter nach Hause. Um ein Uhr morgens quer durch die Stadt nach Hause laufen mit gefühlten fünfzig Kilo auf dem Rücken und in den Händen.

Dann kam Wacken.

Von der Schlammschlacht muss ich nichts mehr erzählen, denke ich. Mittlerweile sind meine Springer auch nur noch etwas braun. Das Foto mit ff.de-Shirt ist gemacht, muss mir aber noch zugeschickt werden, weil es nicht mit meiner Kamera gemacht wurde.

Kleine Vorwarnung: Das wird jetzt lang. Ausschweifend. Vielleicht langweilig, vielleicht verwirrend. Aber wenn ich das jetzt nicht gründlich aufschreibe, dann schrei ich noch irgendwann, weil ich manches einfach nicht aussprechen kann. Weil manche Worte, manche Gedanken einfach in der Kehle stecken bleiben, und wenn man versucht, es zu formulieren, reichen alle Worte der Welt nicht mehr.

Auf Wacken, in der ersten Nacht, sind wir beklaut worden. Die Diebe waren ziemlich dreist, haben mitten in der Nacht einfach die Zelte geöffnet und neben die Schlafenden gegriffen. Fabians (bester Kumpel) und Nancys (dessen Freundin) Zelt standen direkt neben mir, bei mir war nur das Mückennetz geschlossen und die Tür auf, damit etwas Luft hineinkommt. Das Geld lag bei mir direkt neben dem Eingang. Bei den beiden in den Bauchtaschen, die Taschen unter den Springerstiefeln in einer Tüte. Geklaut wurde nur bei den beiden, nicht bei mir. Sehr ärgerlich. Der festivalinterne Geldautomat war denn auch alle, weil nicht nur bei uns geklaut wurde, also wollen die beiden zum dorfinternen Geldautomaten, zur Sparkasse, stiefeln. Ich hätte an diesem Tag um zwölf Uhr mittags mich eigentlich mit Narina, eventuell auch anderen ff.de-Leuten, treffen wollen, habe aber aus eigener Schuld vorher einen Treffpunkt festgelegt, der gar nicht da war, nämlich den Red Bull-Tourbus, dessen Gegenwart ich eigentlich sonst gewohnt gewesen war. Dementsprechend hab ich einfach das ff.de-Shirt angezogen und bin mit Nancy und Fabian mitgestiefelt - mein Erkennungsmerkmal hatte ich an, vielleicht wäre man sich ja zufällig über den Weg gelaufen.

Fabian und Nancy stellen sich an die Schlange an. Ich warte ein wenig im Schatten und geselle mich zu ihnen, als sie mit demjenigen hinter sich ins Gespräch kommen.

Und da ging der ganze Mist los.

Wir lernen Henning kennen. Henning will auch zum Hammerfall-Konzert, zu dem auch ich gehen will, während Fabian Hammerfall verteufelt. Voller Begeisterung schenkt er mir ein Bier. Man albert herum. Er hat seine Gruppe verloren, bleibt somit den Rest des Tages bei uns.

Es geht damit los, dass im Gedränge der Konzerte er mir seine Hand entgegen streckt und ich sie nehme, um nicht die Gruppe zu verlieren. Es geht damit weiter, dass wir irgendwann die Hand nicht mehr loslassen. Dass er mich am Abend zum Abschied umarmt. Da ist eigentlich schon alles klar, aber da fühlt sich alles noch ganz gut an, und ich war schon immer zu feige, ein klares NEIN hervorzubringen, wenn sich nicht alles in mir sträubt. Und das tat es da noch nicht. Er war nett. Und das Händchen halten fühlte sich gut an.

Beim In Flames Konzert am nächsten Tag fing er an, mich von hinten zu umarmen und so dazustehen. War schön. Zumal in der Haltung irgendwie meine Rückenschmerzen vollkommen verblassten. Ständig Stage Diver, zu deren Gunsten man sich immer wieder umdreht. Beim Zurückdrehen Henning ansehen. Der auf einmal näher kommt. Die Augen schließt. Mich küsst.

Mein erster Kuss, und ich war völlig überrumpelt. Zumal für ihn danach alles schien wie davor. Und er küsste mich immer wieder. Ich hätte da schon einfach wegrennen sollen, aber da hatte ich nicht den Mumm für. Und er war ja wirklich nett. Ich war nicht verliebt, aber ich hatte auch nichts dagegen.

Trotzdem gings zu schnell. Nach In Flames hab ich ihn also bezüglich meiner Unerfahrenheit aufgeklärt, er entschuldigt sich und alles.

Fabian und Nancy waren sofort begeistert. Während ich eigentlich nur aus Verwirrung, Unsicherheit und Überforderung bestand. Hätte Henning nicht alles so schnell gemacht, dann hätte ich wohl tatsächlich geblockt, bevor es zu spät war. Aber so bin ich völlig überrumpelt worden, meine Barrikaden niedergeschossen, bevor ich mich selbst erst einmal sortieren konnte.

Außer Küssen ist auf wacken nicht mehr viel. Aber danach macht er mich bei metalcon ausfindig. Wundert sich, dass ich so selten zurückschreibe - ich beantworte einmal am Tag die Mails, und ich weigere mich auch, alle drei Stunden meine Mails zu checken. Einmal am Tag. Basta. Er kauft sich Zugticket und Konzerticket fürs Barther Metal Open Air (war gerade letztes Wochenende), bevor überhaupt geklärt ist, ob wir hier einen Mitfahrplatz für ihn finden, weil wir alleine schon massive Platzprobleme haben, und will schon möglichst früher kommen. Ich kenne ihn kaum. Ich weiß eigentlich gar nichts über ihn. Meine Privatsphäre ist mir heilig, egal, wie sehr ich jemanden mag, ich brauche meinen Freiraum so dringend wie die Luft zum Atmen. Ich bin seit fast einundzwanzig Jahren das Single-Leben gewohnt und nicht im Geringsten bereit, ein von mir bestimmtes Maß an Privatsphäre aufzugeben. Also erlaube ich ihm, dass er eine Nacht hier übernachten darf.

Abends gehen wir ins Kino. Batman. Da passiert absolut nichts, und da hätte ich tatsächlich geblockt, weil ich bei Batman nicht bereit bin, auch nur eine Sekunde zu verpassen.

Danach aber, bei mir im Zimmer, zieht er mich dann in eine dieser Umarmungen, fängt an rumzuknutschen, langsam gehen die Hände unters T-Shirt ...

Ja, wir haben miteinander geschlafen.

Es hat verdammt wehgetan. Es war unbequem, weil mir irgendwann die Beine eingeschlafen sind. Ich war froh, als es vorbei war, und mir tat noch zwei Tage danach alles weh. Ich hab sogar noch einen blauen Fleck an der Hüfte. Und das Schlimmste ist, dass ich nicht die Frage beantworten kann, ob ich das wirklich wollte. Das Schlimmste ist, dass da eine ganz leise Stimme in mir wispert: "Wolltest du es einfach nur hinter dich bringen?" und ich nicht voller Überzeugung "Nein!" antworten kann. Auf dem Barther habe ich dann zum Glück meine Tage bekommen (milder als sonst, Gott sei Dank, so war ich wenigstens noch fit genug für die Konzerte). Henning sagte, ihm mache das nichts aus, aber mir macht das ganz extrem was aus, also ist außer Küssen nichts gelaufen. Und Küssen wollte er ständig.

Henning fing an, zu klammern. Und gegen Klammern bin ich allergisch. Ganz allergisch. Wenn jemand mir auf die Pelle rückt, egal, wie gerne ich ihn mag, und nichts alleine unternehmen kann, wenn er mich ständig berühren kann, dann kann ich kaum noch das Bedürfnis unterdrücken, wegzurennen. Und das habe ich in abgeschwächter Variante auch getan. Habe mich Richtung Klo entschuldigt, mich schnell zu den anderen gesellt. Ihn kaum direkt angesehen, weil er mich dann sofort küssen wollte. Bei Konzerten ständig zumindest meine Hand hielt, aber meistens die Hand um mich gelegt und die auch nicht entfernt hat, wenn ich Headbangen wollte oder Springen. Konzerte halt. Ich habe ihm direkt am ersten Abend gesagt, dass er zu sehr klammert. Viel zu sehr. Sobald ein Stuhl in meiner Nähe frei wurde, hat er seinen verlassen und sich auf den gesetzt. Oder direkt neben mich in den Dreck gekniet. Ich kam mir vor, als hätte ich einen Hund, der mir sabbernd und willenlos hinterher läuft. Ich habe ihm gesagt, dass Klammern tödlich ist, dass ich, je mehr er mich festhält, nur desto mehr rennen will, bis ich absoluten Widerwillen entwickle, aber es hat sich nichts geändert, trotzdem ich ihn immer wieder daran erinnert habe. Er wurde eifersüchig auf Fabian, mein bester Freund seit der dritten Klasse. Und trotz dem ich ihm beteuert habe, dass ich mit Fabian nicht in diesem Universum und auch in keinem aller möglichen Paralleluniversen jemals etwas anfangen würde, konnte er mir nicht vertrauen.

Mit Henning zusammen sein ist, als hätte er mir eine maximal einen Meter lange Leine angelegt und eine mobile Überwachungskamera auf mich angesetzt. Und manche mögen damit klar kommen. Aber ich sage es nochmal:

Sobald jemand klammert, bin ich weg. Gegen Klammern bin ich höchst allergisch. Meine persönliche Freiheit ist mir da wichtiger als alles andere.

Und das hat Henning bis zuletzt nicht begriffen.

Und er macht sich ein Bild von mir, wie er mich haben möchte.

"Nicht weinen.", als ich ihn am Bahnhof verabschiedet habe und so weit von Weinen entfernt war, wie nur möglich.

"Duu findest es genauso blöd, gerade jetzt deine Tage zu haben, was?", als ich mich eher widerwillig nochmal von ihm abknutschen lassen, bevor ich in mein Zelt fliehe, und absolut glücklich darüber bin, diese absolut stichhaltige Entschuldigung vorbringen zu können.

Und die ganze Zeit habe ich Tim vor Augen. Tim vom Barther Metal Open Air letztes Jahr, der mich in zwei Tagen absolut durchschaut hat und mir jede Freiheit ließ. Der hat jetzt kurzfristig sowohl Wacken als auch Barth abgesagt, obwohl er ursprünglich kommen wollte. Die ganze Zeit Tim vor Augen, der ständig genau wusste, was ich denke. Der mich in zwei Tagen besser kannte, als selbst Fabian, geschweige denn Henning, das tun.

Ich weiß, dass ich Schluss machen muss mit Henning. Im Moment schalte ich fast ständig mein Handy aus, weil ich Angst habe, dass er mir eine SMS schreibt oder anruft und ich antworten muss, obwohl ich keine Ahnung habe, was ich ihm sagen soll. Er will ein Bild von mir haben, um es allen seinen Freunden, Bekannten, Familie zu zeigen, obwohl ich ihn, wenn man wirklich die Tage zählt, wo ich ihn gesehen habe, gerade einmal eine knappe Woche kenne. Er hat mir mehr als einmal von seiner letzten Freundin erzählt, die den gleichen Namen hat wie ich, die sich von ihm trennte. Hat mehr als einmal betont, wie schlimm die Trennung von ihr für ihn war und wie sehr ihn das kaputt gemacht hat. Das setzt mich noch mehr unter Druck, weil ich genau weiß, wie ihn das verletzten wird, wenn ich mich von ihm trenne. Zumal er im Moment der festen Überzeugung ist, ich hätte mich aus vollem Herzen für ihn entschieden. Schlimmer noch, ich weiß nicht einmal, was ich sagen soll. Dass ich zu Beginn einfach eine rosarote Brille aufhatte, die jetzt durchsichtig geworden ist, ohne Liebe zu hinterlassen? Selbst das wäre nur die halbe Wahrheit. Mittlerweile lerne ich ihn langsam kennen. Er liest nicht, er malt nicht, er hört gerne Black und Death Metal, die Mangas, die ich mag, mag er nicht. Ich habe weder Geld noch Zeit noch Nerven, regelmäßig die knapp vierhundert Kilometer zu ihm zu fahren. Und er ist anstrengend. Man kann nicht mit ihm schweigen, denn entweder erzählt er die ganze Zeit von sich selbst oder er versteht Stille als Aufforderung zum Knutschen. Und ich habe ihm doch gesagt, er soll zurückrudern, wenn er nicht alles kaputt machen will. Aber das hat er nicht getan. Ich musste am Sonntag, als ich vom Festival zurückkam und er gefahren war, mein Bett vollständig neu beziehen, weil meine Privatsphäre mir total zerrissen vorkam. Und als sein Zug gefahren ist, bin ich so erleichtert gewesen, dass er weg ist.

Wenn man erleichtert ist, dass der Freund endlich weg ist, dann stimmt etwas nicht. So viel merke dann sogar ich.

Ich kann das nicht. Aber ich bin auch zu feige, um Schluss zu machen, denn das wird ihn total kaputt machen.

Gut, ich weiß, dass ich Schluss machen muss. Aber dazu muss ich ihn anrufen, denn zum Schluss machen über SMS oder Email bin ich zu nett. Das wäre unfair. Er hat etwas Besseres verdient. Ich muss anrufen. Aber die Wahrheit kann ich nicht sagen, denn das würde aus seiner Perspektive so sein, als hätte ich ihm die ganze Zeit etwas vorgelogen und vorgespielt (und die kleine, leise Stimme in meinem Kopf wispert "Hast du doch auch.", und ich kann sie nicht aus vollster Überzeugung zum Schweigen bringen!) und wäre das nicht nochmal viel schlimmer? Und wenn ich sage, dass ich Schwärmerei und eine rosarote Brille für Liebe gehalten habe, wo nichts war, selbst dann ist es nur eine Halbwahrheit.

Und solange schalte ich mein Handy aus, um nicht erreichbar zu sein. Weil ich noch daran arbeite, meine Privatsphäre zu flicken und meine Freiheit wiederzufinden.

Wäre schön, jetzt in einer dieser schönen Fantasywelten zu leben, wo man als Landstreicher oder Söldner durch die Gegend ziehen kann, ohne von der Gesellschaft festgehalten zu werden. Dann könnte ich jetzt einfach weglaufen und alles vergessen.

Gott, manchmal bin ich so feige, dass ich mich selbst hasse. Und dazu passend auch noch der Soundtrack meiner aktuellen Lage.