Sonntag, 12. April 2015

Feeling Pushed Again

Als ich die Schule wechselte, hatte ich an dieser neuen Schule voller Menschen, von denen der Großteil mich nicht besonders positiv aufnahm, einen einzigen Freund. Also war es logisch, dass ich mich erst einmal an ihn hängte in dieser neuen Schule, die so völlig anders war als die, die ich bisher gekannt hatte.
Er beschwerte sich, dass ich ihm "nicht ständig hinterrennen" solle und dass ihn das nerve.
Ich begann, an dieser neuen Schule Menschen kennenzulernen, die nicht zu seinem Freundeskreis zählten. Sie wurden nicht meine Freunde, eher entfernte Bekannte, aber ich mochte es, mich mit ihnen zu unterhalten. Ich verbrachte meine Pause gerne mal mit ihnen, setzte mich in den Unterricht neben sie.
Er beschwerte sich, dass ich in den Pausen ständig weg wäre, und war beleidigt, als ich mich im Unterricht nicht neben ihn setzte.
Er setzte sich am Anfang des Schuljahres, bei der Festlegung der Sitzplätze, in jedem einzelnen Fach neben mich, etwas, was nur er ausdrücklich wünschte. Danach beschwerte er sich das gesamte Jahr darüber, dass ich ihn im Unterricht ständig ablenken würde (indem ich ihm Fragen stellte, wenn ich etwas nicht verstand), beschwerte sich, wenn ich zu vertieft war, um ihm seine Fragen augenblicklich zu erklären, setzte sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu jemand anderem, damit derjenige "nicht so allein sitzen braucht" und ließ somit mich alleine sitzen, was aber anscheinend nicht so schlimm ist.
In dem Jahr nach dem Schulabschluss, das Jahr, in dem ich ziellos zuhause saß und nicht wusste, was ich mit mir und der Welt anstellen sollte, das Jahr, indem ich Süßkram ziellos in mich hineinfraß und keinerlei Sport trieb - kurz, das Jahr, das das Schlimmste meines Lebens war, das Jahr, bevor ich ein besserer Mensch wurde - ging ich liebend gerne zu jeder seiner Grillabende und Geburtstagspartys und betrank mich. Weil es alle anderen taten. Die Fotos und Geschichten dieser Saufpartys erzählt er heute noch jedem rum, den wir treffen, als wären es Trophäen, die man herumzeigt, jedes Mal mit einer Variation des Satzes "Das war hammer lustig.". Ja, für mich nicht. Das war das Jahr, in dem ich mit mir selbst kreuzunglücklich, auf der Höhe meines Gewichtes und einfach nur deprimiert war. Für ihn war es das Jahr, in dem ich am lustigsten war.
Dann begann ich, zu studieren, erst in Leipzig, dann in Rostock. Ich ging laufen, ich begann, zu erkennen, dass ich nicht betrunken sein will und es nicht sein muss, und ich lernte, "Nein!" zu sagen. Nach und nach, aber ich lernte es. Ich begann, meinem Sport einen hohen Platz in meiner Prioriätenliste einzuräumen. Erst bekam ich noch Komplimente, als ich abnahm, dann wurde ich der Freak dafür, dass ich ständig laufen gehen würde, dann kamen die Beschwerden, wenn ich abends früh von der Party ging (um 1:00 Uhr morgens) oder meinen Alkoholkonsum streng limitierte. Wirklich streng.
Dann kam mein geliebtes Drachenbootteam und ernste Sportbemühungen. Mittlerweile bin ich bei 6x Sport die Woche, dreimal davon Drachenboot. Nicht zu vergessen gelegentliche Wettkämpfe oder Rennen am Wochenende, Grillabende, Geburtstagsfeiern, gemeinsame Unternehmungen im Team ... und weil meine Zeit damit sehr limitiert war, lehnte ich immer öfter gemeinsame Saufabende ab, wenn sie mit Teamabenden kollidierten. Weil ich dieses Team liebe, und weil ich diese Leute liebe, und weil es gute Leute sind, mit denen ich sehr gerne meine Zeit verbringe.

Von wem rede ich hier die ganze Zeit? Sollte eigentlich klar sein. Von Fabian. Von Fabian und seiner Unfähigkeit, zu begreifen, dass ich Dinge habe, die mir wichtiger sind als er.

Er beschwert sich, dass ich "ja nie erreichbar" bin - weil er an ein paar Tagen versuchte, mich anzurufen. Ein Versuch. Zu genau der Zeit am Abend, in der ich beim Training bin, was ihm mittlerweile doch eigentlich klar sein dürfte, es aber nicht ist. Die Tatsache, dass ich davor und danach sehr wohl sehr gut erreichbar bin, entgeht ihm da. Die Tatsache, dass mir ein Sushiabend mit meinem Team oder ein Grillabend mehr Spaß macht, als mit ihm die ganze Nacht lang in irgendwelche Clubs zu gehen, wo er noch nicht einmal tanzt, sondern nur rumsitzt und gegen die Musik eine flache Unterhaltung zu führen versucht, während der er eigentlich nur auf seinem Smartphone rumhängt, ist ihm völlig unverständlich. Vor einer ganzen Weile schickte er mir sogar eine SMS, dass ich überhaupt keine Zeit mehr für meine Freunde hätte (= Fabian und seine Freunde), dass mir mein blöder Sportverein viel wichtiger wäre und ich ja überhaupt nie mehr irgendwas mit ihnen machen würde, und ich sollte mich gefälligst entscheiden. Nachdem ich erst geheult, ihm dann eine wütende, gepfefferte Rücknachricht und dann zwei Tage Funkstille geschickt habe und wir uns dann auch wieder ausgesprochen haben, war es bzgl. dieser Thematik etwas ruhiger geworden, aber er hört trotzdem nicht damit auf. Damit, sich wie ein bockiges Kleinkind zu benehmen.

Geht es darum, dass ich irgendwann erst um drei Uhr nachts nach Hause gekommen bin (was nur eine Nebeninformation der Erzählung war), kommt der Kommentar: "Du hattest da bestimmt Training."
Geht es darum, dass ich irgendwohin nicht mitkommen kann, kommt der Kommentar: "Trainiert ihr eigentlich irgendwann mal nicht?"
Die Wettkämpfe, die mir wichtig sind und von denen ich stolz erzähle, tut er mit einem Schulterzucken ab und vergisst sie sogleich wieder. Geht es darum, dass ich zu einem Konzert nicht mitkommen möchte, weil ich nicht einsehe, für eine Band, die ich nicht leiden kann, zehn oder noch mehr Euro auszugehen (und ja, zehn Euro sind nicht viel Geld für ein Konzert, auch fünfzehn nicht, aber wen ich die Band nun einmal nicht leiden kann, sind es immer noch zehn oder fünfzehn Euro zuviel), werde ich wieder langweilig geschimpft. Fragt er mich ein paarmal, ob ich zu irgendwelchen Unternehmungen mitkommen möchte, und ich entweder keine Zeit oder keine Lust auf besagte Unternehmungen habe (weil es nun einmal nicht meine Lieblingsbeschäftigung ist, nachts in einem Club rumzusitzen mit Leuten, die nicht einmal tanzen wollen - das einzig Sinnvolle, was man da tun könnte - und überhaupt, was genau hindert euch daran, vielleicht mittags was zu unternehmen anstatt spätabends???) bin ich langweilig, hätte ja nie Zeit und wäre bestimmt wieder bei meinem blöden Training. Frage ich ihn und mache Vorschläge bzgl. gemeinsamer Freizeitgestaltung, kommt nur "Joah, mal sehen ...", gefolgt davon, dass er das eh wieder vergisst und sich was anderes vornimmt (von dem er mir dann nichts erzählt, weil ich "ja eh nie Zeit" hätte).

Er ist das eingeschnappte Kleinkind, dem ich 24/7 zur Verfügung stehen soll, selbst, wenn nichts los ist, Hauptsache, ich springe, sobald er pfeift. Er ist derjenige, der seine Freundin und alle Mädels, die er kennt, mit Samthandschuhen anfässt, aber mich mit den Worten "Du siehst ja heute richtig hässlich aus." begrüßt. Er ist derjenige, der jedem einen Platz in der ersten Reihe freiräumt, ohne zu fragen und egal, wie voll es da ist, und mich vollkommen ignoriert, sodass ich die einzige bin, die hinter ihnen stehen muss, und sich dann nach dem Konzert beschwert, dass ich ja so schnell weg war - nachdem ich mich von dem Moshpit habe mitreißen lassen und Spaß hatte. Er ist derjenige, der sich mit jemandem über Frauenklischees unterhält, dann mich anguckt und sagt: "Naja, du zählst ja nicht, du bist ja eh keine richtige Frau." Er ist derjenige, der immer noch bei jedem Event versucht, mir Bier reinzuquälen, und mich Langweiler ruft, weil ich kein Bier mag und nie gemocht habe - selbst, wenn ich anstelle von Bier ein mir schmackhaftes leicht alkoholisiertes Getränk konsumiere. Sämtliche sportlichen Erfolge werden mit einem abwertenden "Du bist ja auch verrückt.", einem beiläufigen Schulterzucken und augenblicklichem Themawechsel kommentiert. Keine Unterhaltung mit mir ist wichtig genug, als dass er sich nicht einfach, während ich mit ihm rede, abwenden und jemand anderen ansprechen würde und das für völlig normal hält.

Ich bin eine Selbstverständlichkeit für ihn. Und das regt mich auf. Und meine Versuche, ihm begreiflich zu machen, dass ich neuerdings ein Sozialleben besitze, das sich nicht um ihn dreht und auch nicht von ihm abhängig ist, dass auf meiner Prioritätenliste nicht er an oberster Stelle steht und ich es satt habe, über seine mich beleidigenden Kommentare zu lachen, machen mich für ihn zum Langweiler, zu jemandem, der nie Zeit für seine Freunde hat und zu einem Langweiler, Langweiler, Langweiler. Je mehr Selbstwertgefühl ich bekam und je mehr Selbstliebe ich aufbrachte, desto mehr begann er, mich mit kleinen Sticheleien zu beleidigen und sich über mich zu beschweren.

Und ich merke, wie gut es mir tut, nicht nach seiner Pfeife zu tanzen. Aber ich merke auch, dass mir seine Kommentare und sein Verhalten immer noch sehr wehtun können und mich immer noch sehr aufregen - weshalb dieser Post so lang geworden ist und weshalb es noch ein langer Weg ist. Aber ich bin unterwegs. Und der frische Wind um meine Nase gefällt mir ausnehmend gut.