Montag, 22. Oktober 2012

Serafin - Gerüchte aus einem Söldnerleben V



Finn saß sehr, sehr lange alleine in der Taverne, während ihre Arme taub wurden und die Schultern schmerzten auf dem unbequemen Holzstuhl, aber niemand ließ sich erweichen, und die Wirtin ignorierte alle von Finns Bitten.

Sie wusste, warum niemand hier war. Sie suchten einen Weg, den angerichteten Schaden (und damit meinten sie das Werwolfgift in Serafins Körper, meinten sie die voreilige magische Heilung, die Finn nur in allem, was sie von Magie hielt, Recht gab) wieder gutzumachen. Egal, ob Serafin ihnen versicherte, sie sei nicht vergiftet, sondern völlig normal. Sie merkte, dass sie, egal, was man als normal definierte, anders war.

„Du kannst nicht zwei Seiten wählen, Finn. Wir oder die Wölfe.“

Sie spürte, dass Sairon damit Recht gehabt hatte. Dachte an den Ritter. Wenn der den Wolf auch gesehen hätte, wäre das nicht passiert. Wenn der Herr Leichtsinn nicht von den Einheimischen getötet worden wäre, wenn der nicht immer zur vordersten Linie gerannt wäre, dann wäre das nicht passiert.

Und dachte an all das, was sich verändert hatte. Neue Gerüche, die sie sich vorher nicht einmal hatte vorstellen können und die ihr eine völlig neue Welt eröffneten. Diese Leichtigkeit in den Gedanken. Es war so … seltsam anders.

Letzten Endes dachte Finn lange, lange nach. Und meistens daran, was Aya, wenn sie sie endlich gefunden hatte, wohl davon halten möge.

(„Finn, ich habe nichts dagegen, wenn du den einfachen Ausweg nimmst. Wenn du, anstatt zu kämpfen, wegläufst. Wirklich nicht. Aber dann tu es nicht deswegen, weil du einfach nur Angst vor Veränderungen hast. Das ist nämlich wahrhaft feige.“)

Finn dachte lange darüber nach, ob es ihr wirklich nichts ausmachte, selbst von Aya feige genannt zu werden.

„Finn!“, rief Eorindiel, völlig unelbenhaft aufgelöst in die Taverne rennend. „Wir … wir haben einen Gegenzauber hingekriegt! Bitte, du musst ihn nehmen!“

Finn nickte, und sei es nur, um von den Fesseln befreit zu werden. Denn obwohl sie völlig waffenlos war,  dachte das ihr anvertraute Prinzesschen erneut viel zu naiv.

„Wie willst du mich dazu zwingen, diesen Gegenzauber zu nehmen?“, fragte sie leise, mitten auf der Straße, im Rücken die Taverne quer über die Wiese, vor sich das Zelt des Zauberers, der den Gegenzauber fabriziert hatte und wartete. „Wie willst du mich zwingen? Mich schlagen und dorthin schleifen? Mich festhalten – und dann? Wie willst du mich zwingen, diesen Zaubertrank zu trinken?“

Und auf Eos Gesicht sah Finn, dass das Prinzesschen darauf keine Antwort wusste. Stattdessen traten ihr schon wieder Tränen auf das Gesicht, und jene, die Finn noch ihre Freunde nannte, standen vor ihr und warteten. Mit flehenden Blicken. Sairon trat vor, und obwohl er zu Eorindiel flüsterte, verstand Finn ihn so klar und deutlich, als hätte er es laut gesagt. „Lass mich mal unter vier Augen mit ihr reden.“

Die anderen blieben zurück, während er sie an der Schulter nahm und ein paar Schritte wegführte. Es fühlte sich an, als würde sie an die Leine genommen, drum schüttelte sie seine Hand ab und bereute es bei dem traurigen Blick, den er aufsetzte.

„Finn, bitte.“, begann er, wirklich flehend. „Ich weiß, wir können dich nicht zwingen. Aber du musst dich entscheiden. Du kannst nicht beides sein, denn dann bist du weder Mensch noch Werwolf, gehörst zu keinem von beiden. Du musst eines verlieren.“

„Und warum sollte ich mich nicht gegen euch entscheiden?“, fragte sie wütend. „Gegen die, die mich niederknüppeln?!“

„Und warum solltest du dich für etwas entscheiden, was dich erst mit Klauen und Zähnen immer wieder verletzt und dann fast auffrisst?“, pariert Sairon ruhig. „Ich kann den Werwolf zwar nicht sehen, aber wie deine Schulter zerrissen wurde, das habe ich gesehen, und ich hab dich schreien hören. Kannst du dich denn nicht mehr an diese Schmerzen erinnern? Weißt du, wie deine Schulter aussah? Selbst mit magischer Heilung sind da immer noch dicke Narben, Finn. Warum solltest du dich für etwas entscheiden, das dir solche Schmerzen zugefügt hat?“

Sie biss sich auf ihrer Unterlippe herum, denn sie erinnerte sich. Und trotz der magischen Heilung schmerzte ihre Schulter immer noch. Sie erinnerte sich an die spitzen Zähne, die ihr das Fleisch von den Knochen rissen. Schmerzen, solche Schmerzen.

„Ich weiß das noch sehr gut.“, wisperte sie. „Und wenn ich jetzt diesen Trank trinke und der wirkt, dann wird das erneut passieren! Dann werden die Wölfe mich nicht mehr als einen Freund sehen, werden mich wieder wegstoßen – so wie ihr jetzt! – und mich wieder angreifen! Und ich habe keinen Mitkämpfer mehr, der ihn ebenfalls sehen und kämpfen kann!“

Tränen traten ihr in die Augen, aber Sairon lächelte, lachte fast, aber seine Stimme klang sanft.

„So ist das also.“, sagte er leise. „Du hast Angst, Finn. Einfach Angst, hm?“

Und sie blickte zu Boden, weil sie darauf nichts erwidern konnte.

„Finn. Ich hab dich kämpfen sehen. Du kannst verdammt gut kämpfen, du bist mutig, du bist witzig. Die Wölfe waren auch vorher deine Feinde, und du hast dich gegen sie behauptet. Und wir sehen ihn zwar nicht, aber wenn wir zusammenarbeiten, können wir dir helfen, Finn. Du brauchst keine Angst haben.“

Sie sagte nichts, weil sie wusste, dass er Recht hatte. Sie hatte nur Angst … und noch etwas, aber das würde niemand von ihnen verstehen. Dieser kleine Teil, der diese neue Welt liebte. Der die Wölfe liebte, ihren neuen Geruchssinn, die Leichtigkeit, die sich in ihre Gedanken schlich, die Ahnung vom Geruch der Freiheit. Das wollte sie nicht aufgeben.

Frustriert trat sie nach einer Pflanze am Wegesrand und beobachtete, wie alte Blütenblätter davonstoben. Sah das Prinzesschen an, Eorindiel, die genau wie die anderen die Unterhaltung aus etwas Entfernung beobachtete und Finn mit tränengefüllten Augen wie ein krankes Eichhörnchen anblickte.

„Für drei Goldstücke.“, sagte Serafin und meinte es genauso. „Für drei Goldstücke, Eorindiel, trinke ich das Zeug.“

Die Elbenprinzessin hätte ihr in diesem Moment alles versprochen, aber nicht nur sie war sprachlos.

„Geld?“, fragte Sairon ungläubig. „Für Geld? Wie geldgeil bist du eigentlich?“

Lachte kurz auf, aber trotzdem schwappte Erleichterung durch sie alle wie eine Windböe, und Eorindiel nickte hektisch. „Alles, wirklich alles! Ich schwöre, Finn, für drei Goldstücke!“

„Schwöre es auf den, den du suchst.“, wisperte Finn, die Elbin nicht aus den Augen lassend, und der liefen Tränen aus ungläubigen, aber unglaublich erleichterten Augen über die Wangen, als sie nickte. „Ich schwöre es auf den, den ich suche, schwöre es auf den, den ich liebe, dass ich dir drei Goldstücke gebe.“, sagte sie. Und das reichte Finn. Eine Anzahlung heute, morgen mehr, nach und nach, das würde reichen. Hauptsache, sie besaß den Anspruch.

„Für Geld.“, schnaubte der Ritter kopfschüttelnd. „Serafin, ich hätte nicht gedacht, dass du tatsächlich so geldgierig bist.“

Serafin schwieg.

„Geld bedeutet Sicherheit.“, erklärt sie Aya, im Schein des Feuers gut abgeschottet ihr Kupfer putzend, damit es glänzte und ordentlich aussah. „Wer Geld hat, kann fast alles bezahlen – Essen. Unterkunft. Medizin. Bücher. Bildung. Informationen. Geld heißt Macht und Sicherheit. Sicher, man kann nicht alles damit kaufen – Liebe zum Beispiel. Aber zum nackten Überleben ist nun einmal Geld die Nummer eins, und deshalb bedeutet viel Geld auch gesichertes Überleben.“

Geld bedeutet Sicherheit, dachte sie, während der Zauberer ihr den Becher mit einer widerlich riechenden Flüssigkeit gab. Denk daran, Finn. Drei Gold. Sicherheit.

„Keine Angst, Finn. Alles wird gut.“