Dienstag, 20. September 2011

Wahnsinn

Den Wahnsinn schreiben.

Wie macht man das eigentlich?

Ich finde den Wahnsinn faszinierend. Ich finde es interessant, über Charaktere zu schreiben, die einfach ihr eigenes Ding machen, die aus der Reihe tanzen be zet we sich angestrengt bemühen, in der Reihe zu bleiben, und denen dabei der geistige Waggon völlig entgleist. Ich schreibe gerne über völlig zerkrachte Existenzen, vergleiche ihre Seelen mit einem "bookstore on a quiet street in a dirty city, crammed with books and papers on every shelf, dusty and disorganized, some upside-down, some falling apart."

Aber trotzdem bin ich niemals zufrieden damit, wie ich sie schreibe.

Im Moment zum Beispiel schreibe ich an "Unforgiving Blade", einer Steampunk-Geschichte. Sie spielt im gleichen Universum wie "Remember" - doch seit der Handlung von "Remember" sind grob geschätzt 3500 Jahre vergangen. Und Serafin gibt es immer noch. Er ist der Letzte einer Rasse, an die selbst er sich kaum noch erinnern kann, er vergisst und verwahrlost, er kämpft grinsend und gleichzeitig weinend. Freckles und Sam, die beiden Mechanikerinnen, die ihn treffen, müssen ihn bei jedem zweiten Satz daran erinnern, wer sie sind, was sie von ihm wollen. Er verheddert sich in seinen eigenen Sätzen, er kratzt sich die Unterarme blutig und die linke Wange, er sagt, was er gerade denkt, schweift dann ab in zusammenhanglose Gedanken und hört nicht auf, ehe man ihn unterbricht.

Und obwohl er bereits so eine zerkrachte Existenz ist, ist er mir noch nicht kaputt genug.

Denn was genau ist denn eigentlich Wahnsinn?

Samstag, 17. September 2011

Freunde

Ich habe mich hier einige Male ziemlich über F. ausgelassen. Vielleicht war ich nicht jedes Mal sehr gerecht, aber wenn man sich aufregt, ist man das selten. Ich möchte nur erwähnen, dass er auch ein sehr, sehr guter Freund sein kann. Genauso wie Luigi und all die anderen.

Da war ja gestern Abend diese Abschiedsparty, die F. organisierte und über deren Gäste ich nichts wusste (obwohl ich die meisten erahnte).

Da war ja letztes Wochenende das Amtsrock-Festival, wo Gomorrha gespielt haben, dessen Keyborder Manu ist. Manu, der von alldem, was ich ihm sagen will, keine Ahnung hat.

Als wir vom Amtsrock wegfuhren, ohne Manu auch nur Tschüss gesagt haben zu können, da war ich wirklich mies drauf. "Das war's.", dachte ich immer wieder.

Ich hab mir vorgestellt, dass es schön wäre, wenn Manu auch zur Abschiedsparty kommen würde (die gleichzeitig die vorgezogene Geburtstagsfeier ist, die in einer Woche stattgefunden hätte). Ich hab es nicht gewagt, diesen Gedanken wirklich weiterzuführen, hab nicht einmal hoffen wollen, dass Manu kommt, weil ich immer wusste: "Es wird einfach nichts mehr kommen, so einfach ist das, du hast nicht Tschüss sagen können, und du hast dich nie mit ihm einmal außerhalb vom Orchester und in Ruhe unterhalten können, nie, und das wird auch nicht mehr passieren, sieh es endlich ein."

Dann wurde gestern ein großer Überraschungsgast angekündigt, der anscheinend nicht wusste, wie genau er zu mir findet, weil F. ihm entgegen gegangen ist, um ihn hinzuführen. Er hatte vorher mit diesem Überraschungsgast noch telefoniert, sich verplappert und gerufen: "Hey, lasst Fleisch übrig, Manu hat Hunger!"

Das "Manu" hab ich da nicht wirklich verstanden, mehr erahnt. Hätte auch ein anderer Name sein können. F.s Freundin ruft: "F., du Idiot!", alle starren mich an, und ich denke: "Es kann nicht Manu sein. Der wohnt viel zu weit weg und ist so beschäftigt, dass er bestimmt nicht konnte, selbst, wenn Fabian ihn gefragt hätte, oder keine Lust gehabt hätte."
Also schaue ich etwas bedeppert ihn die erwartungsvollen und etwas erschrockenen Gesichter, frage: "Wer?", und allgemeines Aufatmen.
Es wäre viel zu schön gewesen, wenn es wirklich Manu gewesen wäre, denke ich in dem Moment ...

... und dann geht F. weg, dem Überraschungsgast entgegen, kommt einige Zeit später wieder, und neben ihm geht Manu einher.

In dem Augenblick ist meine Mimik erst einmal ein wenig eingefroren, glaube ich, aber innerlich lief es nach dem Motto ab: "Nicht wirklich. Das ist Wunschdenken. Irgendwo muss doch der Haken sein."

Nein. Kein Haken. F. hat Manu eingeladen, Manu hat zugesagt, Manu umarmt mich zur Begrüßung, ich fange an zu heulen vor Freude, er schenkt mir zehn Euro in Kleingeld (und hat auch mein Stativ mitfinanziert, wie ich später erfahre), und ... bleibt ziemlich lange.

Da war übrigens das Kleingeld drin:



Meine kleine Umzugskiste <3

Muss ich noch sagen, dass ich den ganzen Abend nicht von seiner Seite gewichen bin?

Und ja. Wir haben geredet. Endlich mal. Über Konzerte, Bands, über Leipzig und warum ich weg will, haben gealbert und getrunken und angestoßen. Wir hatten an diesem Abend Sternenhimmel und Mondschein, wir hatten blauen Himmel und Sonne, wir hatten ein großes Lagerfeuer, um das wir alle herumsaßen, wir haben Würste verkohlen lassen, Chips und Plastikgabeln und Marshmallows gegrillt, und Manu war da. Leider hatte er Pläne für den nächsten Tag und konnte nicht übernachten, blieb aber wirklich bis zum Schluss. Hat mich umarmt zum Abschied. Hat versprochen, wenn er in Leipzig oder Umgebung ist, kommt er vorbei. Hat sich meine E-Mail-Adresse geben lassen.

Und ich musste wieder heulen.

Ich hab ihm nichts gestanden, aber es war trotzdem einer der schönsten Abende meines Lebens. Freunde sind da, ein Lagerfeuer und Manu.

Ach ja:

Das große Geburtstagsgeschenk hab ich ja jetzt schon gekriegt - der gesamte Kumpelskreis hat für ein Stativ zusammengelegt. Ich weiß noch keine großen Details, nur, dass es ein sehr gutes ist. Luigi hat es bestellt, ohne zu wissen, wer dazu etwas beisteuert - quasi auf Risiko, sodass er im schlimmsten Falle eine Menge Geld losgeworden wäre. Es ist noch nicht da, aber ich hab ein Symbol dafür bekommen:




Das ist mein Stativ. Von allen Freunden, auch von Manu.

Heute Morgen musste ich schon wieder heulen, als die große Abschiedsszene kam. Aber trotzdem, auch, wenn ich alle Freunde hier in Rostock habe - in Leipzig habe ich auch zwei Freunde. Und ich will etwas von der Welt sehen, ich will raus, will selbstständig und frei sein. Manu konnte das verstehen, als ich ihm das gestern erzählte, und hat mich dazu ermutigt.

Und wenn ich Physik nicht schaffen sollte - in einem Jahr bin ich dann wieder da. Und dann kann ich immerhin sagen: "Ich habe es versucht. Es gibt nichts zu bereuen."

Dienstag, 13. September 2011

Das Haus

Freitag soll eine Abschiedsparty für mich stattfinden, weil ich in absehbarer Zeit in eine andere Stadt ziehe. Organisiert von F.

Und ich bin mittlerweile einfach nur alle Nerven los und will endlich weg hier.

Erst das Desaster, das gar keines war, weil einfach nichts passiert ist, mit Manu am Samstag. Dann all die anderen Kleinigkeiten - Stullen, die wieder mal mit dem Belag nach unten fahren, unentspannte Eltern, die Rote Armee, die wieder anmarschiert kommt, vergessene Geldbörsen, ein Meerschweinchen mit undefiniertem Gesundheitszustand und ein nicht anwesender Tierarzt, eine seitenlange To Do-Liste.

Das Hickhack um eventuelle Übernachtung am Freitag der Gäste begann nun damit, dass meine Mutter (anscheinend nur in unbestätigter Hypothese) sagte, zur Not könnten welche auf unserem sehr weitläufigem Dachboden schlafen.

Es ging damit weiter, dass angefragt wurde, ob wir alle dort schlafen dürften, mittlerweile sind die Nächte ja recht kühl und frisch.

Akt 1: "Nein, um Gottes Willen, das Gelände ist sowieso schon kaputt, die fassen da ja eh alle an, egal, was du sagst, und überhaupt, das hier ist unser Haus, das haben wir uns selbst gebaut, wir wollen hier keine Horde unzivilisierter Jugendlicher herumrennen haben, und überhaupt, das ist viel zu laut, wir wollen auch unsere Ruhe!"
Ich bin doch in einer Woche sowieso weg, dann habt ihr endlich eure langersehnte Ruhe. Endlich rennt hier kein unzivilisierter Jugendlicher mehr herum.

Akt 2: Rückmeldung von F. bzgl. der abgelehnten Möglichkeit einer häuslichen Übernachtung: "Also, die meisten meinten jetzt, dass sie dann nicht kommen wollen. Bleiben nur ca. 6 Leute."
Kommentar meiner Mutter darauf: "Das sind keine richtigen Freunde, die du da hast, die mögen dich alle gar nicht wirklich, die sehen nur, dass wir im Wohlstand leben und sind neidisch auf dich und wollen sich gut mit dir stellen."

Akt 3: Resignation meinerseits. Okay. Es kommen nur sechs. Geht halt nicht anders.
Kommentar meiner Mutter auf Resignation meinerseits: "Hast du eigentlich gar kein Durchsetzungsvermögen, resignier nicht so einfach, versuch doch mal, Kompromisse zu finden, nur weil ich sage, das möchte ich nicht, muss doch ein Kompromiss nicht unmöglich sein, aber nein, du versuchst es ja nicht einmal, kein Wunder, dass du damals die Rammsteintickets nicht gekriegt hattest, da musste dein Vater auch alles allein machen (Stimmt nicht - aber egal.), so schaffst du nie was im Leben, und wenn deine sogenannten Freunde dich doch eh alle nur ausnutzen wollen, was für ne Party soll das dann werden, und überhaupt, ne Überraschungsparty ist das nicht, F. nutzt dich doch auch die ganze Zeit nur aus, die Hälfte musst du ja ganz alleine organisieren."

Danke, liebe, liebe verständnisvolle Mutter. Als Krümel gestorben ist, da hab ich auch absolut gar kein Durchsetzungsvermögen gezeigt, hm? Und meine Freunde, die alle nur mein Geld haben wollen (das ich nicht habe, wohl eher euer Geld mit eurem tollen, riesigen, leeren, dekadenten Haus, wo Sofas mit Kuhfellen bezogen sind?!) und von denen 70 % gar keine Ahnung haben, wo und wie ich überhaupt wohne?

Akt 4: Meinem Vater, der immer der Letzte sein muss, der alles absegnet, ist inzwischen alles egal. "Macht doch, was ihr wollt, aber wenn hier einer die Treppe runterfliegt und sich den Kopf anschlägt, ist das deine Verantwortung." Ich habe nie verlangt, dass ihr dafür gerade stehen sollen würdet.
Meine Mutter versucht zu erklären und endet mit den Worten: "Das verstehst du doch, oder?"

Nein. Nein, ich verstehe das nicht. Ich verstehe es nicht, wie man sich ein riesiges Esszimmer bauen kann, an dessen Tisch man dann verloren geht, wo alle Gespräche versiegen, weil jeder Besucher eingeschüchtert wird. Ich verstehe es nicht, warum man diese dekadenten Teller mit der super unpraktischen Form verwenden muss, wenn jahrelang die normalen gereicht haben. Ich verstehe nicht, warum der schöne, bequeme Sessel auf einmal nicht mehr gut genug ist und durch einen Echtledersessel ersetzt wird (Echtleder!), auf den man sich nicht setzen kann, weil er kalt, unbequem und das Sitzpolster unstabil ist. Ich verstehe nicht, warum man sich einen Tisch kauft, auf dem man wirklich alles sieht, ihn für die Küche verwendet und dann verbietet, irgendwas drauf abzustellen. Ich verstehe es nicht, warum man eine ganze Küche in Weiß halten kann. In kaltem Weiß. Ich verstehe nicht, wie man in diesem Haus jedes Lebenszeichen vernichten kann und selbst Pflanzen akribischer Ordnung unterzieht. Was nicht ins Gesamtbild passt, fliegt raus. Ich verstehe nicht, wie man im Flur ständig die Schuhe in die Ecke hinter der Garderobe fliegen lässt, weil ja sonst alles so unordentlich aussehen würde, egal, wie sorgfältig aufgereiht die Schuhe werden. Unser Flur ist jetzt leer.

Ich verstehe nicht, wie man es ertragen kann, in einem so riesigen Bunker mit abgeschlossenem Tor vor dem Vorhof zu leben und blickdichtem Holzzaun zu allen Seiten, ohne sich abgeschottet und einsam zu fühlen. Ich verstehe nicht, wie man sich ein so riesiges Haus baut, um dann sämtliche Hausarbeit von der Oma erledigen zu lassen.

Ich kapier's einfach nicht.

Ich weiß nur, dass ich dieses Haus manchmal ehrlich hasse.

Und wenn ich mit meinen Eltern auch nur zu einem Viertel so rede wie sie mit mir, dann bin ich das freche, vorlaute, gemeine Balg.