Montag, 25. Juni 2012

Schlaflos in Leipzig

Nachts ist so vieles anders.

Nachts muss man keine Musik beim Spazieren gehen hören. Nachts muss man sich nicht den eigenen Soundtrack drüberlegen, weil man nachts die Stadt atmen hört. Man sieht drei Füchse in Leipzig Mitte über die Straße laufen. Betrunkene, die darüber lachen, dass sie sich am Auto abstützen müssen. Man sieht das beleuchtete Fenster der Freundin, die ebenfalls noch wach ist und einen hereinlässt.

Nachts muss man nicht reden, um Stille zu füllen, weil die Stille jetzt angenehm und gut ist. Nebeneinander sitzen, etwas lesen, sich nach einer, anderthalb, nach zwei Stunden verabschieden und das Gefühl haben, trotz weniger Worte eine schöne Zeit miteinander verbracht zu haben.

Nachtspaziergänge.

Sollte ich öfter machen.

Freitag, 15. Juni 2012

Erzählung meines Unterbewusstseins

Frühs um sechs, und ich beschließe zum ersten Mal, das morgendliche Physik-Seminar aus Müdigkeit, nicht aus Zeit, zu schwänzen. Das gibt mir zwei Stunden mehr Schlaf, nach denen ich immerhin schonmal etwas bereitwilliger aufstehe.

Fakultät und Studentenwohnheim liegen direkt nebeneinander, und irgendwie ist es schon Herbst geworden, aber die Sonne ist freundlich und warm.Ich muss nur ein Stückchen an den anderen Eingängen vorbei, da kommt eine im T-Shirt des Fachschaftsrates auf mich zu, breit lächelnd.

"Hey!", sagt sie, "Magst du nicht mitkommen zur Fachschaftssitzung? Die ist jetzt gleich!"

Eigentlich hab ich ein schlechtes Gewissen, nach dem geschwänzten Seminar jetzt auch noch die folgende Vorlesung zu schwänzen, und sage das auch, aber sie tut das Argument mit einem Handwinken ab. "Ach, für Physik steht doch das Skript im Internet, und es dauert nicht lange. Komm mit!"

Also gehen wir.

Die Sitzung ist in einem großen, hellen Raum, mit hohen Fenstern, und ich habe gerade noch Zeit, darüber nachzudenken, dass ich so einen Raum in unserer Fakultät noch gar nicht gesehen habe - da fällt mir schon jemand in die Arme. Jemand, den ich nicht kenne, und der mich so fest umarmt, als wäre ich eine lange vermisste Freundin. Jemand mit weichen, wuscheligen Haaren, die in der Nase kitzeln, weil er ein Stück kleiner ist als ich. Ich werde eigentlich gerne umarmt, aber ich kenne ihn nicht, und lege nur unsicher die Hand auf seinen Rücken, ein fragendes und verlegenes Lächeln zu den andern Fachschaftsratmitgliedern, die nur die Augenbrauen hochziehen und grinsen. Auf meine Bitte hin, den vielleicht irgendwie zurückzuhalten, bewegen sie sich erst, bleiben dann aber lächelnd stehen. "Nein," sagen sie, "Er hat dich so lange gesucht."

 Einen Blick auf sein Gesicht erhasche ich nur ganz kurz, ganz ganz ganz kurz, während er sich mit bestimmten Drucks meinerseits etwas distanziert, und er hat ein liebes Gesicht. Keinen Bart, eher schmale Lippen, aber Grübchen, und Augen, die so ähnlich gemustert scheinen wie meine. Und dann fällt er mir schon wieder um den Hals.

Während der gesamten Sitzung lässt er mich nicht los. Es ist aber nicht unangenehm, ganz im Gegenteil, deshalb lasse ich ihn, aber reden tun wir nicht miteiander. Nur ansehen tut er mich ständig, und das sind alle Worte, die er sagen muss, damit ich ihn ernst nehme. Genug Worte, um mich völlig rot werden zu lassen.

Nicht einmal sprechen wir ein Wort miteinander. Irgendwie wird trotzdem alles gesagt.

Interessanterweise gehört zum Treffen auch ein gemeinschaftlicher Besuch in einer kulturellen Vorführung. Die ganze Zeit hält er meine Hand, und irgendwann halte ich auch seine. Er sagt kein Wort, ich habe ihn nie zuvor getroffen, aber ich weiß trotzdem mit einem einzigen Blick, dass er ganz ganz ganz wundervoll ist.

Er umarmt mich, er kuschelt sich an mich, aber wenn ich jemanden brauche, der mich in den Arm nimmt, tut er es. Ich kümmere mich um ihn, aber sobald ich jemanden brauche, ist er da. So verlässlich wie die Tatsache, dass die Sonne jeden Tag scheint.

Nach der Aufführung wird es Abend, und irgendwie führt uns unser Heimweg, zu Fuß, am Deich in der Nähe Prerows und Ahrenshoop entlang, wo ich gerade am Wochenende entlang gefahren bin. Diesmal laufen wir den schmalen Trampelpfad neben dem Fahrradweg, und er ist ein Stück voraus, dreht sich um nach uns anderen, und ich kann in der Abendsonne sein Gesicht sehen. Er wartet auf uns, und ich drehe mich ebenfalls um, damit die anderen aufschließen können.

Als sie es tun, sehe ich nach vorn, aber er ist nicht mehr da. Der Weg ist leer. Und im Halbschlaf, noch kurz vorm Aufwachen, realisiere ich noch "Er hat nicht auf die anderen gewartet. Er wollte, dass ich zu ihm komme."

Und als ich aufwache, fällt mir ein, dass ich ihn nicht gefragt habe, "Warum? Warum ich? Was ist an mir so großartig, dass du mich bedingungslos lieben kannst? Warum?"

So sehr, wie das alles auch ein Wunschtraum war, schweift mein Kopf den ganzen restlichen Tag immer wieder zurück in den Traum.

Und am Nachmittag ruft dann F. an und fragt, ob ich dann und dann mit zum Konzert in Berlin komme. Eigentlich bin ich wenig begeistert und frage, um etwas Zeit zu schinden, nach, wer denn noch alles mitkomme.

Hugo kommt mit. Jener Hugo vom Barther Metal Open Air, von dem ich hier schonmal geschrieben habe. Den ich zwei Tage lang kennen lernen konnte und an den ich seitdem jeden Tag mindestens einmal gedacht habe. Wegen dem ich das nächste Barther herbeisehne und gleichzeitig etwas fürchte, denn eines weiß ich - mit Freundschaft kann ich mich diesmal nicht zufrieden geben. Zum ersten Mal nicht.

Eigentlich kann ich das Barther kaum erwarten, und trotzdem macht es mir Angst. Letztes Jahr war er Single. Was ist dieses Jahr? Wird schlimmstenfalls gar nichts passieren?

Und je nachdem, wie das Barther wird, könnte das Konzert dann für mich den Himmel oder die Hölle bedeuten.

Und trotzdem kann ichs kaum erwarten.