Samstag, 15. September 2012

Serafin - Gerüchte aus einem Söldnerleben III


„Was ist denn mit euch los? Hier drinnen seid ihr doch in Sicherheit! Die können hier nicht rein!“, rief sie, skeptisch den Schutzkreis auf dem Boden beäugend, in den sie alle sich drängten. Da war die Heilerin, deren Namen Serafin gerade irgendwie entfallen war, jene, der sie noch vor ein paar Stunden ihren Dolch geliehen hatte, damit sie wenigstens ein wenig auf sich selbst aufpassen konnte. Nun hielt diese Heilerin ebenjenen Dolch zwischen sich und Serafin, die Augen angstvoll aufgerissen.

„Die nicht. Aber du.“, entgegnete Sairon, und sein Schwert richtete sich auf Serafins Hals. „Komm nicht einen Schritt weiter, Finn. Bleib da stehen. Ich meine es ernst.“

„Du würdest mich töten?“, fragte sie, das Grinsen verschwindend, die Mundwinkel sinkend. Tränen in den Augen. „Du würdest mich wirklich töten? Aber wir sind doch Freunde!“

„Wenn du weitergehst, sind wir das nicht mehr, Finn. Bleib da stehen. Ich will nicht, aber ich werde zustechen.“

Serafin sah ihm tief, tief in die Augen, während sie stehen blieb, mit den Füßen halb im Schutzkreis, von dem sie nichts spürte außer Kälte wie von einem Luftzug.

„Du meinst das ernst.“, wisperte sie. „Du würdest mich tatsächlich töten. Wir sind doch Freunde.“

„Bleib da stehen.“

„Freunde.“ Trat einen Schritt vor.

„Finn, bleib da!“, schrie Sairon, und Finns Nase zuckte, ihre Augen weiteten sich. Sie sah alles so überdeutlich, der Lärm, den die Wesen auf der anderen Seite der Eingangsbarriere machten, dröhnte in ihren Ohren, der Geruch der Menschen vor ihr schien ihr die Nase zu verstopfen. Genauso deutlich sah sie die Angst in den Augen ihrer Freunde. Sah, wie Sairon die anderen beschützend hinter sich schob, jene, denen Serafin geholfen hatte im Kampf gegen die Eingeborenen. In ihrem Magen brannte die Wut darüber, Wut über Verrat und Einsamkeit, wie ein heißes Feuer, aber sie machte einen Schritt vor.

„Ich bin doch immer noch Finn.“, wisperte sie, und in dem Moment, in dem Sairons Klinge auf sie zufuhr, spürte sie nur noch etwas Kaltes im Nacken.

Und sank niedergeschlagen und bewusstlos zu Boden.




Ihr Kopf schmerzte, aber das war der Schmerz einer Fremden. Echter Schmerz brannte in ihrem Magen und loderte hell auf, als Serafin merkte, dass sie gefesselt in der Taverne saß. Hände, Füße, sogar noch einmal an den Stuhl gebunden.

„Und was soll das jetzt?!“, rief sie, die Wut unterdrückend, weil sie wusste, dass das keine Lösung war. Misstrauische Blicke waren ihre Antwort. „Ich weiß, ich hab mich ab und an vielleicht komisch verhalten, aber mich niederschlagen?“

„Du verwandelst dich, Serafin.“

Nein, dachte sie. Nein. Ich verwandle mich nicht. Ich bin immer noch ich. Immer noch ich. Immer noch Finn. „Hab ich spitze Zähne? Fell irgendwo? Wolfsaugen? Nein? Also verwandle ich mich auch nicht.“ Immer noch ich. Die Wölfe meine Freunde. „Hab ich jemanden beißen wollen? Nein. Okay?“

„Das kann noch kommen, Serafin. Im Moment bist du vielleicht noch du selbst. Vielleicht auch schon nicht mehr, woher sollen wir das wissen?“ Sairon sah sie an mit bitterernster Miene, der Hand an seinem Schwert und großem Sicherheitsabstand. „Wir können dir nicht mehr trauen.“

„Selbst wenn ich euch sage, dass ich immer noch ich bin?“, fragte sie ernst, jegliche Grinsereien verschwunden. „Selbst wenn ich es euch verzeihen würde, mich niedergeknüppelt zu haben?“

Sairon blickte sie an, Finsternis in den Augen. „Ja.“, sagte er. „Selbst dann.“

Und Serafin begann zu verstehen, dass sie etwas verloren hatte.

„Das heißt, sobald deine Freunde sich verändern, beginnst du, sie zu schlagen. Wenn sie etwas tun, was du nicht verstehst, wendest du ihnen den Rücken zu. Wenn sie dir sagen, du kannst ihnen vertrauen, dann hörst du auf, sie deine Freunde zu nennen.“ Unbewusst immer lauter werdend, aber dafür verstand Finn langsam.

„Wenn sich jemand verändert, dann stößt du ihn fort, anstatt erst einmal zu versuchen, ihn zu verstehen.“, knurrte sie. „Aber kein Problem, Sairon. Dann hau halt ab. Ich hätts mir ja denken müssen. Wenn Menschen was Neues akzeptieren müssen, dann lehnen sie es lieber vollständig ab, anstatt es zu verstehen.“

„Finn …“

„Früher oder später gehen sie alle.“, knurrte sie, und diesmal war er es, der unter ihrem Blick als Erster wegsah.

Und hinausging.

Die Heilerin warf Finn einen bedauernden Blick zu, aber auf Finn Grinsen hin lächelte sie nicht zurück, schüttelte nur den Kopf. „Könnt ihr mich nicht wenigstens losbinden?!“, rief Finn ihnen noch hinterher, als sie hinausgingen, wo weiter weg, bei ihrem Camp, Alarm vor Eingeborenen geschlagen wurde. „Ich hau auch ab! Ihr braucht mich nur losbinden, dann seid ihr mich los!“

„Wir wollen dir doch helfen!“, rief die Heilerin, irgendwas mit E, Finn erinnerte sich beim besten Willen nicht mehr. Tränen hatte sie in den hellen Augen. „Wir finden bestimmt irgendwas, womit wir dir helfen können, aber dafür musst du hier bleiben!“

Und Finn sah sie an. „Ich bin nicht krank.“, knurrte sie. „Ich brauche keine Hilfe.“

Das Mädchen schluchzte auf, lief den anderen hinterher. Finn bemerkte, dass nur noch eine Person übrig geblieben war, die sie zuvor gar nicht bemerkt hatte, weil sie sich leise weinend im Hintergrund gehalten hatte.

„Na los.“, wisperte sie. „Hau ab. So machst du es für uns beide leichter.“

Eorindiel kniete sich neben sie, die Hände auf Finns Knie, das Gesicht ein Spiegel des Elends. „Serafin, ich …“

„Jeder geht irgendwann. Mein Vater ist als Erster gegangen. Meine Mutter ist gegangen.“

(Hast sie selbst gehen lassen, Finn, wispert es in ihrem Kopf, hast sie doch immerhin selbst verbrennen lassen, aber Finn schüttelt den Kopf. Sie hat sich schon Jahre vorher von mir abgewendet, denkt sie, sie ist schon lange vor ihrem Tod weggegangen)

„Jeder Landstreicher wendet sich gegen dich, sobald du Kupfer oder Essen in den Taschen hast. Jeder Söldnerkollege, wenn es nur genug Kupfer ist. Selbst Aya hat versprochen, niemals wegzugehen, und dann?“

(Herbstblätter fallen von den Bäumen vor einem blaublaublauen Himmel, die Straße ist trocken und weit und teilt sich in vier Richtungen, und Finn sieht Aya davonreiten in die ihr entgegengesetzte Richtung, während leuchtend gelbe und flammend rote Blätter durch die Luft segeln und trotz klarer Luft und heller Sonne Kälte in der Luft liegt, will Aya zurückrufen, hinter ihr herrennen und sie zurückzerren, wenn es sein muss – und doch weiß sie, dass mit jedem Griff nach Aya diese noch weiter von ihr fortlaufen wird.)

„Ist auch Aya gegangen.“, wisperte Serafin.

„Ich … Finn, wir wollen doch nur helfen!“

„Mir muss nicht geholfen werden!“, schrie Finn. „Warum könnt ihr nicht einfach hinnehmen, dass ich mich verändert habe?! Warum könnt ihr mir nicht vertrauen, wenigstens du?!“

„Aber wie sollen wir denn wissen, dass du noch du selbst bist? Woher sollen wir denn wissen, dass du uns nicht anlügst?“, rief die Elbin, die Haare zerzaust, die Augen verweint, aber vom schlechten Gewissen war Serafin nun meilenweit entfernt.

„Genau darum geht es beim Vertrauen, Eorindiel.“ Sie sah die Elbin an, kein Grinsen im Gesicht, kein fröhliches Freunde! auf den Lippen. „Du kannst es nicht wissen, du musst einfach blind vertrauen. Blind. Früher oder später verliert das jeder. Und das ist der Punkt, an dem jeder geht. Genau wie du einmal gehen wirst, weil du mir nicht mehr vertraust. Jeder haut irgendwann ab, also kannst du mich auch jetzt schon aus deinem Leben schmeißen, wenn du kein Vertrauen mehr in mich hast.“

Tränen liefen über die blasse Elbenhaut, und in Serafins Magen brannte blanke Wut, die eiskalte, gefrorene Tränen der Einsamkeit überstrahlte.

In der Ferne rief jemand nach der Elbin, irgendein Magiefirlefanz, irgendein unwichtiges Ritual, für das sie gebraucht wurde.

Eorindiel warf Finn einen langen Blick zu, wisperte „Es tut mir Leid, Finn. Wir wollen doch nur helfen.“ und ging.

Finn blieb zurück.

Alleine.

„Jeder geht irgendwann.“, wisperte sie und sah den schmalen Rücken vor dem strahlend blauen Himmel, umwirbelt von Herbstlaub, vor sich. „Aya ist gegangen. Und du wirst auch irgendwann gehen.“

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