Samstag, 22. September 2012

Serafin - Gerüchte aus einem Söldnerleben IV

("Selbst Aya hat versprochen, niemals zu gehen, und dann?")

(Herbstblätter fallen von den Bäumen vor einem blaublaublauen Himmel, die Straße ist trocken und weit und teilt sich in drei Richtungen. Bis hierhin sind sie gemeinsam gekommen, und nun, weil sie die Zeit nicht zurückdrehen und Taten nicht ungeschehen machen kann, sieht Finn Aya in die andere Richtung davonreiten. Sie will Aya zurückrufen. Sieht den schmalen Rücken vor dem strahlend blauen Himmel, umrahmt von leuchtend gelben und brennend roten Blättern, die durch die Luft segeln. Die Kälte eines klaren Tages liegt in der Luft, die Sonne scheint hell, und Finn will hinter Aya herrennen und sie zurückzerren, wenn es sein muss - doch sie weiß, mit jedem Griff nach Aya, jedem Versuch, sie festzuhalten, wird Aya weiter in die Ferne rücken.)


Am Himmel kann man jeden einzelnen Stern erkennen - Fackeln leuchten und glimmen, aber sie sind nichts gegen all die Finsternis und Kälte. Finn zittert, obwohl sie neben einem Feuer sitzt, ihre Zähne klappern so stark, dass sie auf ihren zerschlissenen Ärmel beißt, um nicht ihre Zunge zu verletzen. Ayas besorgte, mitleidige Blicke helfen ihr nicht im Geringsten, ein starkes Äußeres zu wahren. Keine Kraft mehr. Nur noch Aya vor sich beschützen, vor diesem Husten, der ihr die Brust verstopft und die Kehle zerreißt, der sie schüttelt und ihr die Luft zum Atmen stiehlt.

Finn kauert sich zusammen, zwingt sich, immer wieder kleine Schlucke zu trinken von ihrem brackigen Flusswassern, und versucht, einfach durchzuhalten.

"Hier."

Aya streckt ihr einen Holzbecher hin, in den sie heißes Wasser aus ihrem Kesselchen gefüllt hat. Finn schiebt die Hände aus den vielen kaputten, zerschlissenen Stoffschichten hervor, und durch die kalte Nachtluft erschauert sie noch stärker. Der Stoff fällt ihr aus dem Mund, und laut klappern ihre Zähne, als sie gänzlich erfolglos versucht, den Becher gut festzuhalten.

Reiß dich zusammen, schreit sie sich in Gedanken an, aber Aya seufzt und hält Finn vorsichtig den Becher an die Lippen. "Pass auf, das ist kochend heiß.", warnt sie noch. Finn verbrennt sich trotzdem Zunge und Gaumen, aber das ist ihr völlig egal. So lenkt sie sich wenigstens von den Halsschmerzen ab.

Schlückchen für Schlückchen flößt Aya ihr das heiße Gebräu ein. Zwischen Hustenanfällen, die ihr Tränen in die Augen treiben, Schüttelanfällen und dem Versuch, wieder heißes Wasser mit irgendwelchen Waldkräutern ihre Kehle runterzuzwingen, fragt Finn sich, ob sie sterben wird. Und was dann mit Aya geschähe.

Quatsch nicht, scheltet sie sich. Sie mag aussehen wie eine Zehnjährige, aber sie ist erwachsen. Sie hat schon auf sich alleine aufgepasst, bevor du sie getroffen hast. Und im Moment ist sie es übrigens, die dich bemuttern muss, weil du dich nicht zusammenreißen kannst.

"Tut mir Leid, Aya.", will Finn krächzen, aber es kommt nur ein heiseres Fiepen aus ihrer Kehle. Trotzdem lächelt Aya.

"Ist doch selbstverständlich, du Vollmondsidiot.", sagt sie kopfschüttelnd. "Und jetzt trink."

Finn schüttelt den Kopf, als sie sich vor lauter Wasser im Bauch fast schon wieder übergeben muss, und Aya versteht und legt den Becher beiseite.
Zitternd kauert Finn sich wieder in sich selbst zusammen und merkt erst dann, dass Aya sich vor sie kauert, zwischen Finns Beine und mit dem Rücken zu ihr, und Finns gefühlt gefrorene Arme um sich zieht, Finns gefühlt eiskalte und eigentlich fieberheiße, nassgeschwitzte Hände in ihre eigenen, schmal und glatt und wunderbar warm.

"Du steckst dich noch an.", will Finn wieder einwerfen, aber ihren heiseren Krächzlaut ignoriert Aya diesmal völlig.

"So leicht werde ich schon nicht krank.", sagt sie nur.

Und Finn hat keine Kraft, zu widersprechen. Nicht die Willensstärke, Aya, die sie selten genug auch nur umarmen darf, von sich zu stoßen, nicht einmal zu deren eigenem Wohl.

Du bist so ein selbstsüchtiger Charakter, schimpft sie sich selbst aus, klammert sich aber an Aya wie eine Erfrierende an den letzten Ofen der Welt.

Tränen strömen über ihr schmutziges Gesicht, die verstopfte Nase läuft, ihre Kehle schnürt sich zu, sodass jeder Atemzug nach kaputtem Blasebalg klingt, aber Aya bleibt bei ihr. Immer wieder mit einer Hand durch Finns verschwitzte, verzottelte Haare streichend, die Strähnen liebevoll ordnend, während Finn ihr Gesicht in die Kuhle zwischen Ayas Hals und Schulter vergräbt.

"Keine Angst.", wispert Aya. "Keine Angst, Finn. Es wird alles wieder gut."

Und für diese Worte liebt Finn sie.





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