Montag, 10. September 2012

Serafin - Gerüchte aus einem Söldnerleben I


Der Werwolf war nicht allzu groß, nicht größer als Serafin selbst. Sie hatte ja auch schon mit ihm gekämpft, diesem Wesen, das nur manche zu sehen schienen – und ausgerechnet die großen Kämpfer, die mit Rüstungen und großen Waffen, sahen ihn nicht. Ausgerechnet jene mit den Stangenwaffen und Helmen standen ratlos herum, während Serafin sich bereits umdrehte und rannte. Bis ihr die Berserker entgegenliefen. Gegen die konnten die anderen sich zwar wehren … aber dann drehte sie sich wieder um.

Der Werwolf war schnell.

(Sie kämpfte schon vorher gegen ihn, und da war sie noch nicht alleine, da war jener Ritter Leichtsinn noch bei ihr, der sich immer vorstürzte, in die erste Reihe, der auch flüchtenden Feinden noch hinterherrannte, ohne mehr als sein Schwert zu besitzen. Er kämpfte gut, er kämpfte furchtlos, und mit ihm brachte sie den Werwolf zweimal zu Fall, zwang ihn zum Rückzug. Und immer wieder kehrte er zurück, seltsamerweise, sie besiegte ihn erneut, bezog an diesem Tag die Prügel ihres Lebens, blutüberströmt und mit Verbänden eingewickelt, Schmerzen überall, als Ritter Leichtsinn dann zu mutig wurde. Sie sah nur noch, wie die anderen Gefährten um die Leiche mit dem abgetrennten Kopf herumstanden, und sah sich um.

Außer ihr sah eine Heilerin den Werwolf, die völlig unbewaffnet war. Eine Tänzerin sah ihn ebenfalls. Einer der Schwergerüsteten sah ihn auch, aber der war nie da, wenn man ihn brauchte. Ritter Leichtsinn starb.

Und als der Werwolf erneut wiederkehrte, stand Serafin alleine da.)

Nun, zumindest sieht Prinzesschen ihn nicht. Macht den Job einfacher, wenn ich nur mich zu beschützen habe, dachte sie mit begrenzter Erleichterung. Ihre Lohnherrin befand sich direkt neben ihr.

Der Werwolf griff an, und Serafin konnte nicht mehr rennen. Sie schlug sich recht gut, wenn man all die Verletzungen bedachte, und doch stand sie alleine da, über und über mit Wunden bedeckt von vorherigen Kämpfen. Als er ihr so nahe kam, dass sie dem abgerissenen Arm in seiner Klaue die Hand hätte schütteln können, drehte sie sich beiseite, wollte ihn umlaufen, und seine andere Kralle ritzte ihr den Rücken auf.

„Ich könnte hier Hilfe gebrauchen!“, schrie sie, nur mäßig hoffnungsvoll, doch sofort war der Knappe des wirklich großen Ritters bei ihr. „Wo ist er denn?!“, schrie er zurück, „Wo denn?!“

Keine große Wunde. Sie schlug, traf seine Knie, und das brachte ihn zu Fall, als er stolperte, doch die Krallen streckten sich nach ihr aus, und Serafin konnte doch nicht mehr rennen. Sie humpelte bereits nur noch, und als sich seine Krallen in ihr Bein bohrten, fiel auch sie.

„Direkt vor mir!“, schrie sie, und die Hellebarde von Knappe Friedrich schlug in den Werwolf.

Er zog sich zurück. Ein Stück.

Eorindiel, Prinzesschen und Lohnherrin, ließ sich neben Serafin fallen, während andere sich um sie stellten, und begann mit ihrer magischen Elfenmagie, die Wunden zu heilen. Und Serafin schrie.

(Ihr Vater, der große Magier, der sie hasst, der sie jagt. Magier, deren Zauber schief laufen und deren Rituale Stunden brauchen. Serafins eigene unterdrückte magische Ader, die ihr keine Kontrolle erlaubt, die Dinge in Flammen aufgehen oder explodieren lässt, wenn sie wahrhaftig versucht, Magie zu verwenden. Sie hasst Magie. Sie lehnt sämtliche Berührung mit ihr ab. Und als ob sie versucht, sich selbst ihre Unabhängigkeit von der Magie und somit von ihrem Vater zu erklären, stößt sie das Prinzesschen von sich, unter den Schreien und Schmerzen, die ihr diese magische Heilung bereitet.)

„Lass mich dich doch heilen!“, schrie Eorindiel, die von dieser Ablehnung wusste, aber doch nur zu helfen suchte. Und hinter ihr sah Serafin den Werwolf. Er rannte nicht, aber das musste er auch nicht, denn ihr Schwert lag zu weit von ihr weg. Die sichere Taverne unerreichbar weit weg. Sie konnte nicht mehr rennen, das wusste er auch, denn er ließ sich Zeit. Zeit genug, dass Serafin rückwärts kroch, den Blick auf ihn gerichtet, denn sie wusste, würde sie sich umdrehen, schlüge er die Krallen in ihren Rücken. Erneut.

Er ließ sie kriechen, geht langsam, langsam hinter ihr her. Er hatte sich dieses Gesicht gemerkt, realisierte Serafin schreckensstarr, als sie nach ihrem letzten Wurfdolch tastete. Wirft. Ihn in die Seite traf, aber das war zu wenig, lässt ihn nur zusammenfahren, nicht einmal taumeln.

„Wo ist er?!“, schreit einer ihrer Freunde, die Waffe vor sich, aber diese unsichtbare Bedrohung kann er nicht sehen.

„Direkt vor mir!“, ruft sie zurück, Schmerzen im Atem und außer Puste. Der Kämpfer, ein ehemaliger Bote, mit beeindruckenden Schwertfähigkeiten, holt aus, aber der Werwolf geht nur einen Schritt beiseite, und der Bote trifft nur Luft. „Weiter links!“, schreit Serafin, kriecht rückwärts, eine Spur aus Blut hinterlassend. Aber der Werwolf braucht immer nur einen Schritt ausweichen. Als sie den zitternden Arm hebt und auf ihn zeigt, da beendet er das Spielchen, stürzt sich auf sie, verbeißt sich in ihre Schulter.

Und Serafin schreit.

Ihre Gefährten sehen nur Blut in die Luft spritzen.

Dadurch allerdings finden ihre Waffen endlich das Ziel. Der Werwolf lässt los, und Serafin versinkt in Finsternis.

(Schmerzen)

Schmerzen durchbrachen Finsternis. Sie reißt schreiend die Augen auf, nimmt kaum mehr wahr, als dass sie immer noch im Gras liegt, und schreit, schreit, schreit sich die Kehle wund. Fell ist kaum eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt, sie sieht seine Augen im Blutrausch, sieht ihr eigenes Fleisch zwischen seinen Zähnen hängen …

(Grauenhafte Schmerzen, die ihr die wohltuende Finsternis stehlen)

… wälzt sich schreiend im Gras. Etwas Weißes blitzt auf, und sie weiß, dass es der Knochen in ihrer linken Schulter ist, an der der Werwolf herumnagt. Schreit.

Hört kaum die hilflosen Rufe und Fragen ihrer Freunde, die erneut die Waffen schwingen dorthin, wo sie aufgrund der Schreie und des spritzenden Blutes und der verschwindenen Fleischfetzen den Wolf vermuten. Treffen.

„In die Taverne! Tragt sie in die Taverne, zum Schutzkreis!“, schreit einer, und das versteht sie schon kaum mehr, als selbst die immensen Schmerzen nicht mehr ausreichen, um Finsternis fortzuhalten.

Als Serafin wieder aufwacht, ist alles anders.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen