Der Werwolf war nicht allzu groß,
nicht größer als Serafin selbst. Sie hatte ja auch schon mit ihm gekämpft,
diesem Wesen, das nur manche zu sehen schienen – und ausgerechnet die großen
Kämpfer, die mit Rüstungen und großen Waffen, sahen ihn nicht. Ausgerechnet
jene mit den Stangenwaffen und Helmen standen ratlos herum, während Serafin
sich bereits umdrehte und rannte. Bis ihr die Berserker entgegenliefen. Gegen
die konnten die anderen sich zwar wehren … aber dann drehte sie sich wieder um.
Der Werwolf war schnell.
(Sie kämpfte schon vorher gegen ihn, und da war sie noch nicht alleine,
da war jener Ritter Leichtsinn noch bei ihr, der sich immer vorstürzte, in die
erste Reihe, der auch flüchtenden Feinden noch hinterherrannte, ohne mehr als
sein Schwert zu besitzen. Er kämpfte gut, er kämpfte furchtlos, und mit ihm
brachte sie den Werwolf zweimal zu Fall, zwang ihn zum Rückzug. Und immer
wieder kehrte er zurück, seltsamerweise, sie besiegte ihn erneut, bezog an
diesem Tag die Prügel ihres Lebens, blutüberströmt und mit Verbänden eingewickelt,
Schmerzen überall, als Ritter Leichtsinn dann zu mutig wurde. Sie sah nur noch,
wie die anderen Gefährten um die Leiche mit dem abgetrennten Kopf herumstanden,
und sah sich um.
Außer ihr sah eine Heilerin den Werwolf, die völlig unbewaffnet war.
Eine Tänzerin sah ihn ebenfalls. Einer der Schwergerüsteten sah ihn auch, aber
der war nie da, wenn man ihn brauchte. Ritter Leichtsinn starb.
Und als der Werwolf erneut wiederkehrte, stand Serafin alleine da.)
Nun, zumindest sieht Prinzesschen ihn nicht. Macht den Job einfacher,
wenn ich nur mich zu beschützen habe, dachte sie mit begrenzter
Erleichterung. Ihre Lohnherrin befand sich direkt neben ihr.
Der Werwolf griff an, und Serafin
konnte nicht mehr rennen. Sie schlug sich recht gut, wenn man all die
Verletzungen bedachte, und doch stand sie alleine da, über und über mit Wunden
bedeckt von vorherigen Kämpfen. Als er ihr so nahe kam, dass sie dem
abgerissenen Arm in seiner Klaue die Hand hätte schütteln können, drehte sie
sich beiseite, wollte ihn umlaufen, und seine andere Kralle ritzte ihr den
Rücken auf.
„Ich könnte hier Hilfe
gebrauchen!“, schrie sie, nur mäßig hoffnungsvoll, doch sofort war der Knappe
des wirklich großen Ritters bei ihr. „Wo ist er denn?!“, schrie er zurück, „Wo
denn?!“
Keine große Wunde. Sie schlug,
traf seine Knie, und das brachte ihn zu Fall, als er stolperte, doch die
Krallen streckten sich nach ihr aus, und Serafin konnte doch nicht mehr rennen.
Sie humpelte bereits nur noch, und als sich seine Krallen in ihr Bein bohrten, fiel
auch sie.
„Direkt vor mir!“, schrie sie,
und die Hellebarde von Knappe Friedrich schlug in den Werwolf.
Er zog sich zurück. Ein Stück.
Eorindiel, Prinzesschen und
Lohnherrin, ließ sich neben Serafin fallen, während andere sich um sie
stellten, und begann mit ihrer magischen Elfenmagie, die Wunden zu heilen. Und
Serafin schrie.
(Ihr Vater, der große Magier, der sie hasst, der sie jagt. Magier,
deren Zauber schief laufen und deren Rituale Stunden brauchen. Serafins eigene
unterdrückte magische Ader, die ihr keine Kontrolle erlaubt, die Dinge in
Flammen aufgehen oder explodieren lässt, wenn sie wahrhaftig versucht, Magie zu
verwenden. Sie hasst Magie. Sie lehnt sämtliche Berührung mit ihr ab. Und als
ob sie versucht, sich selbst ihre Unabhängigkeit von der Magie und somit von ihrem
Vater zu erklären, stößt sie das Prinzesschen von sich, unter den Schreien und
Schmerzen, die ihr diese magische Heilung bereitet.)
„Lass mich dich doch heilen!“,
schrie Eorindiel, die von dieser Ablehnung wusste, aber doch nur zu helfen
suchte. Und hinter ihr sah Serafin den Werwolf. Er rannte nicht, aber das musste
er auch nicht, denn ihr Schwert lag zu weit von ihr weg. Die sichere Taverne
unerreichbar weit weg. Sie konnte nicht mehr rennen, das wusste er auch, denn
er ließ sich Zeit. Zeit genug, dass Serafin rückwärts kroch, den Blick auf ihn
gerichtet, denn sie wusste, würde sie sich umdrehen, schlüge er die Krallen in
ihren Rücken. Erneut.
Er ließ sie kriechen, geht langsam,
langsam hinter ihr her. Er hatte sich dieses Gesicht gemerkt, realisierte
Serafin schreckensstarr, als sie nach ihrem letzten Wurfdolch tastete. Wirft.
Ihn in die Seite traf, aber das war zu wenig, lässt ihn nur zusammenfahren,
nicht einmal taumeln.
„Wo ist er?!“, schreit einer
ihrer Freunde, die Waffe vor sich, aber diese unsichtbare Bedrohung kann er
nicht sehen.
„Direkt vor mir!“, ruft sie
zurück, Schmerzen im Atem und außer Puste. Der Kämpfer, ein ehemaliger Bote,
mit beeindruckenden Schwertfähigkeiten, holt aus, aber der Werwolf geht nur
einen Schritt beiseite, und der Bote trifft nur Luft. „Weiter links!“, schreit
Serafin, kriecht rückwärts, eine Spur aus Blut hinterlassend. Aber der Werwolf
braucht immer nur einen Schritt ausweichen. Als sie den zitternden Arm hebt und
auf ihn zeigt, da beendet er das Spielchen, stürzt sich auf sie, verbeißt sich
in ihre Schulter.
Und Serafin schreit.
Ihre Gefährten sehen nur Blut in
die Luft spritzen.
Dadurch allerdings finden ihre
Waffen endlich das Ziel. Der Werwolf lässt los, und Serafin versinkt in
Finsternis.
(Schmerzen)
Schmerzen durchbrachen
Finsternis. Sie reißt schreiend die Augen auf, nimmt kaum mehr wahr, als dass
sie immer noch im Gras liegt, und schreit, schreit, schreit sich die Kehle
wund. Fell ist kaum eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt, sie sieht seine
Augen im Blutrausch, sieht ihr eigenes Fleisch zwischen seinen Zähnen hängen …
(Grauenhafte Schmerzen, die ihr die wohltuende Finsternis stehlen)
… wälzt sich schreiend im Gras.
Etwas Weißes blitzt auf, und sie weiß, dass es der Knochen in ihrer linken
Schulter ist, an der der Werwolf herumnagt. Schreit.
Hört kaum die hilflosen Rufe und
Fragen ihrer Freunde, die erneut die Waffen schwingen dorthin, wo sie aufgrund
der Schreie und des spritzenden Blutes und der verschwindenen Fleischfetzen den
Wolf vermuten. Treffen.
„In die Taverne! Tragt sie in die
Taverne, zum Schutzkreis!“, schreit einer, und das versteht sie schon kaum
mehr, als selbst die immensen Schmerzen nicht mehr ausreichen, um Finsternis
fortzuhalten.
Als Serafin wieder aufwacht, ist alles anders.
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