Mittwoch, 20. Juli 2011

Traverse

Von überall spannen sich die Brücken, kleine, große, jede von allen, nicht eine fort und alle hier. Jede der Welt, die Brücken, sie alle führen zu einem Ort, geschmolzen ein, bilden neu Glockenklang und Halleluja.

Die Brücken sind eins, und es ist eine Brücke. Es ist die Brücke. Ihre Pfeiler ragen in Blau hinein, Out of the Blue and Into the Black,
and the sky is burning
während sie aus allen Brücken der Welt besteht. Einer ihrer zahllosen Pfeiler ist Tausende Pfeiler, und sie steht auf Milliarden von ihnen. Kommt man an, man sieht sie in den Himmel ragen, ohne Ende, und irgendwann hält sie sich an den Wolken fest, schwankt nicht, fällt nicht. Die Welt geht über sie hinüber. Du kommst näher, du riechst die Gerüche, du riechst Vogelkot von den Plattformen des Himmels und das Bratfett der Stände, die Flucks verkaufen, tausende hier am einen Ende, tausende dort, unzählbar. Ihr Geruch dringt in deine Nase und sagt dir, dass du in Traverse bist, und dort sind sie auch schon, die Stände vor der Brücke, die bunten Stoffe, die im Wind wehen, die Bänke, vollbesetzt, und Hochhäuser und kleine Baracken und Sänften über den Köpfen der Passanten schaukelnd wie auf dem Meer, und ein Singsang Klingensang wispert in deinem Ohr – es gibt ihn nur hier, hier, in Traverse, wo alle sind und wo alles ist. Wenn du etwas suchst, geh nach Traverse. Ah, und da siehst du sie auch schon.

Der Boden ist bedeckt mit Pflastersteinen, schwarz und gerade, schwarz und krumm, braun und alt und krümelig oder braungelb und glatt und leuchtend oder aus grauen eckigen Steinen oder in kunstvollen Mosaiken zusammengesetzt – du würdest gerne stehen bleiben und sie betrachten, und du würdest gerne auf ihnen entlang gehen und ihren Linien folgen, denn du willst wissen, wohin sie führen, doch es geht nicht, denn du wirst weitergeschoben, sie drängeln und schubsen und du spürst die Ellenbogen im Rücken und die Schultern, die an deine stoßen.

Dort! Seifenblasen! Vielleicht bist du hier unter Wasser und das dort sind die Luftblasen der unterirdischen Stadt, und oben durchstoßen die Pfeiler die Wasseroberfläche in einer ganz anderen Welt, und gleich fällt ein Angelhaken vom Himmel und fängt dich und lässt dich über die anderen fliegen, einen Moment lang, und du schwebst empor und schwebst und schwebst und die Pfeiler der Erde bleiben bei dir.

Und ehe du es bemerkst, werden die Häuser weiter, mehr Nebenstraßen, dunkle und helle, kleine und große, und du stehst auf der Brücke und bist in Traverse. Und du siehst jemanden in einer dunklen Gasse kauern, der zerlumpt und abgerissen ist, seine Kleidung stinkt wahrscheinlich, die Knie angezogen und zusammengekauert und sich so vor der Außenwelt versteckend. Wie ein Kind mit Angst im Dunklen, das die Augen schließt, denn wenn man Angst hat und glaubt, dass da Dinge lauern im Dunklen, dann schließt man einfach die Augen, denn dann sind sie nicht mehr da.

Deshalb siehst du beiseite und gehst weiter, und was dich erst verunsichert hat, verblasst nun ebenso wie die Erinnerung, und du wunderst dich über dich selbst, weshalb ein herkömmlicher Bettler dich so verunsichert hat. Also bleibst du stehen – schlechte Idee mitten im Strom, geh lieber etwas an den Rand – und heb den Kopf, und sieh mal nach oben. Hättest du erwartet, den Himmel zu sehen? Den allerdings gibt es nicht mehr, sobald du erst einmal in Traverse bist. Denn Traverse ist alle Brücken der Welt. Es gibt keinen Himmel in einer Stadt, die Brücken ist, deshalb kannst du ihn auch nicht sehen, denn Traverse ist aus Brücken, und somit siehst du nur Brücken.

ES GIBT KEINEN HIMMEL IN TRAVERSE

1 Kommentar:

  1. Das ... nenne ich mal einen guten Text.
    Traverse ist mir auf Anhieb sympathisch - obschon es das vielleicht nicht sein sollte, huhä.
    Aber die Beschreibung derselben ist dir verdammt gut gelungen. Traverse ist alle Brücken der Welt. Stellt man sich all die von dir in Szene gesetzten, äh, Szenen bildlich vor ...
    Beeindruckend. Jetzt noch ein ordentlicher Soundtrack und eine XXXXXXL Kinoleinwand.^^
    Im Ernst. Hat bei mir mal wieder für Kopfkino gesorgt. Ich weiß nicht, ob du vorhast, das auszubauen, eventuell noch ein, zwei weitere Texte zu Traverse zu schreiben, aber das Grundkonzept ist klasse und vor allen Dingen sauber präsentiert. Nicht zu viel, nicht zu wenig, der Klang der Worte genau richtig.
    Traumtext, harhar.
    Mehr von Traverse zu lesen wäre schön.
    Würde diesem Text hier anderseits das, hm, spontane, phantastische ein bisschen nehmen, schätze ich.
    Nuja-ja.
    In jedem Falle echt gelungen!

    Es grüßt
    das Rueken

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