Freitag, 2. Dezember 2011

Das Märchen vom Mann, der auszog, etwas zu finden

Die Prinzessin stand am Rande der großen Klippe und sah auf die brennende Stadt hinab. Es war nicht das erste Mal, dass sie das tat, und es sollte nicht das letzte Mal bleiben, aber es würden noch mehr als dreißig Jahre vergehen, bis sie das Geheimnis lüftete. (Schandmaul – Geas Traum)



Eins


Es war einmal ein König in einem wunderschönen Reich, ein kleines Königreich mit grünen Wiesen und kleinen Dörfern und großen Städten und einem großen Schloss …
Da zog einst ein Mann namens Isaac aus, seinem König das Unforgiving Blade zu bringen. Ein Schwert, das Unglück und Chaos in sich versiegeln konnte und somit Glück schenken.

… und der König hatte eine Tochter, deren Haar weich war wie Seide und die Haut wie ein Pfirsich, das Mädchen jung und klug und freundlich zu jedermann …

Doch Isaac war lange fort. Sehr, sehr lange. Das Mädchen wurde zur Frau, und wie es in Königreich so läuft, entstanden Rebellentrupps, die nicht mit dem zufrieden waren, was der König so tat.

… und der Mann namens Isaac ging mit dem Befehl, in zehn Jahren zurückzukehren und dem König dann das Unforgiving Blade zu überreichen …

So kam der Tag, an dem Isaac hätte zurückkehren sollen. Zehn Jahre lang war kein Wort von ihm zum Schloss gedrungen, doch der König und seine Tochter vertrauten Isaac, dem großen Krieger, und warteten geduldig.
An diesem Tag – an dem Isaac hätte zurückkehren sollen, es aber nicht tat, doch die Tochter des Königs ihr Vertrauen nicht verlor – verlor der König seine Tochter.


Zwei


Als sie Candle finden, ist der Körper des Mädchens noch warm, das Blut, das aus der Schusswunde an ihrem Kopf strömt, ist warm und rot. Es ist nur der Vater, der den leblosen Körper in die Arme schließt und sich erinnert – daran, wie sehr sie diesen Tag herbeisehnte, den Tag, an dem Isaac zurückkehren sollte. Selbst, als es dunkel wurde und Isaac nicht da, vertraute sie dem Krieger und wartete voller Vorfreude, selbst, wenn die Mission gescheitert sein sollte.
Sie hatte sich so sehr danach gesehnt, Isaac wiederzusehen, und nun war sie tot und Isaac immer noch nicht da.
Nicht da.
Und Candles Blut auf den Fliesen, der tote Attentäter neben ihr, Selbstmord begangen und alle Möglichkeiten ausgeschlossen, aus ihm noch Informationen über sein Motiv und seine Auftraggeber herauszuquetschen.
Nicht, dass es etwas genützt hätte. Denn Candle war tot, schwieg, und war fort.
Der König verzweifelte mit dem Körper seiner Tochter im Arm, Tränen rannen über das alte Gesicht, eine Grimasse des Schmerzes und des Unglaubens.
Da kam ihm eine Idee.
Im Nachhinein betrachtet war es nicht unbedingt die beste Idee, die er jemals gehabt hatte, aber in diesem Falle war es die Einzige, die Candle noch lange genug zurückbringen konnte, um Isaac noch zu treffen

(denn nicht einen Moment hat Candle an Isaac gezweifelt und daran, dass er zurückkehren würde, der furchtlose, starke, freundliche Krieger, der ihr wie ein großer Bruder gewesen in Kinderzeiten, ein Fels in der Brandung)

und sich zu verabschieden.
Denn trotz allem war der König kein Dummkopf.


Drei

„Dies sind die Zeichen und Worte, die Ihr zeichnen und aussprechen müsst, um eure Tochter zurück ins Paradies zu senden. Denkt daran, sie darf nicht bleiben, darf nur ein kurzer Gast sein. Wenn Ihr ihr das erklärt, dann wird eure Tochter das verstehen. Denkt daran, auf sie wartet der Himmel. Nichts Schreckliches, sondern etwas Schönes.“
Der König sagt Ja. Der Hofmagier zeigt ihm die Zeichen und Worte, und der König merkt sie sich, lässt seine Entschlusskraft, dass seine Tochter nur kurz zurückkommen darf, nur ein wenig wanken, als das Mädchen sich von seinem Totenbett erhebt.

Mit einem schweren Stein im Herzen steht Candle vor einem großen Spiegel und betrachtet das Blut an ihrer Schläfe, als ihr Vater zu ihr tritt.
„Es ist nur ein wenig Blut an deinem Kopf, mehr nicht.“, sagt er deutlich und entschlossen und wischt es eigenhändig fort, doch die Wunde bleibt, kalt und bleich und nie mehr heilend. Candle bindet sich ein Tuch um den Kopf, um die Wunde zu verbergen, und lächelt ihren Vater strahlend an, obwohl dieses Dasein sie tief im Inneren mit Grauen erfüllt. Es verknotet ihr den toten Magen, schneidet ihr die Luft ab, die sie nicht mehr braucht, und alle Verletzungen, die ihr zugefügt werden, werden niemals wieder heilen.
Sie wollte Isaac sehen und will es immer noch.
Und dann, wenn sie sich verabschiedet hat, will sie gehen und ihren toten, verwesenden Körper hinter sich lassen.
Doch an diesem Tag kehrt Isaac nicht zurück.
Erst am nächsten. Nach zehn Jahren und einem Tag, und Candle ist tot, ohne dass es jemand weiß außer dem Magier und dem König.


Vier

Isaac sieht älter aus.
Er blickt den König an mit einem Blick, aus dem Jahre sprechen. Kein Lächeln auf den Lippen, keines in den Augen, nur Müdigkeit. Isaac riecht nach Schweiß und nach Alkohol, als er vor die Prinzessin und den König tritt, und der König weiß, dass Isaac das Unforgiving Blade nicht gefunden hat.
„Hey.“, sagt der Krieger müde, und die Stimme ist rauh, heiser, kaputt wie mit dem Reibeisen bearbeitet.
Und Isaac erzählt seine Geschichte.
„Ich hab zehn Jahre lang gesucht. Ich hab mich verändert, größtenteils zum Schlechten, bin anders geworden, bin nicht mehr ich selbst, mehr wie eine billige Kopie meines Ichs von vor zehn Jahren. Kann mich an die Weihnachtsfeste der letzen Jahre nicht mehr erinnern.“
Währenddessen weilen seine Augen irgendwo im Nichts, zwischen Candle und ihrem Vater, als könne er niemandem von ihnen mehr richtig in die Augen sehen. Sie erinnert sich daran, wie sie in ihrer Kindheit seine Augen geliebt hat, so hellgrau, dass es fast unheimlich, auf sie jedoch nur faszinierend wirkt.
„Das Unforgiving Blade hab ich nicht mehr gefunden.“
„Das ist okay, Isaac.“, sagt der König leise, mitleidig die leere Hülle eines Mannes, die vor ihm steht, betrachtend. „Es ist okay. Du hast alles gegeben, und dafür danke ich dir.“
Jetzt lächelt Isaac, doch dieses Lächeln ist keines, das auch die Augen erreicht, ist mehr ein Verzerren der Gesichtszüge.
„Ich hab’s versucht.“, wispert er mit dieser kaputten, heiseren Stimme, „Ich habs wirklich versucht.“
„Ich weiß, Isaac.“, sagt der König und lächelt wirklich, doch Isaac schüttelt den Kopf.
„Nein, “,wispert er, „Nein. Ich hab so vieles vergessen und verloren. Meinen Namen zeitweise vergessen. Ich bin nur gekommen, um Euch zu sagen, dass ich gescheitert bin, aber bleiben kann ich hier nicht mehr. Ich muss wieder fort, diesmal für immer wahrscheinlich. Ich wollte Euch danken für alles, was ihr irgendwann einmal für mich getan habt. Mehr nicht.“
Und so dreht Isaac sich um und sagt: „Lebt wohl.“

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