Der Mond spiegelte sich auf dem
Teich, das Windspiel klimpert leise, und das warme Holz der Terrasse knarrt
leise, als sie sich an den Rand setzt. Das Gras ist weicher zwischen den Zehen,
als es echtes Gras jemals sein könnte.
„Manchmal vermisse ich es,
verliebt zu sein.“, sagt Finn leise und blickt in den Sternenhimmel. „Ist zwar
so auch schön, weil man niemandem außer sich selbst verpflichtet ist, aber …
trotzdem.“
„Du bist doch verliebt.“, grinst
Josie. Im japanischen Yukata liegt sie auf der Terasse, auf dem Bauch, das Kinn
in die Hände gestützt, und wackelt mit den Füßen. „Muss ich dich immer wieder
dran erinnern?“
Finn weiß, wen sie meint. „Und in
wen?“, murrt sie zurück. „Du bist hier das Unterbewusstsein. Ich weiß nicht,
was du alles weißt.“
„Erinnerst du dich denn nicht
mehr an sie? Deine „beste Freundin“ in der Schule?“ Das Grinsen wird noch
breiter, als Josie mit beiden Händen Anführungszeichen in die Luft malt. „Ihr
wart immer nur beste Freunde. Aber eigentlich hast du sie geliebt. So, wie du
sie immer angeschaut hast. Jedes Mal peinlichst darauf bedacht, nicht zu
starren, dich nach jeder Minute mit ihr sehnend, neidisch auf die anderen
Freundinnen.“
Finn spürt ihr Gesicht glühen,
und ihr Kopf protestiert, während jedes einzelne Wort, das Josie spricht, doch
die pure Wahrheit ist.
„Selbst, als sie mit den anderen
über dich lästerte und nichts mehr mit dir zu tun haben wollte – angeblich nur
aus dem Grund, das dein ewiges Fingernägelkauen eklig war! – selbst da warst du
wütend und sauer auf sie und traurig, und trotzdem hast du sie zurückgesehnt.
Trotzdem hast du sie beobachtet, während du vorgabst, sie zu ignorieren, um den
Schmerz leichter zu machen. Du wolltest sie in den Arm nehmen. Dein Herz hat
Freudensprünge gemacht, wenn sie dich zur Begrüßung umarmte, du warst im
siebten Himmel, als sie sich tatsächlich einmal von dir Huckepack tragen ließ.“
Diesmal muss Finn lächeln. „Sie
hat es immer gehasst, hochgehoben zu werden. Und dann hat sie mich gebeten, sie
Huckepack zu tragen. Da hat sie mir vertraut.“
Josie lächelt und stützt den Kopf
wieder in ihre Hände, während sie verträumt zum Sternenhimmel aufsieht. „Und
die Nachmittage, wo sie keine Lust hatte, schon nach Hause zu fahren.“
„Wir sind geblieben, bis die
Schule geschlossen wurde. Haben einfach herumgealbert.“, erinnert sich Finn,
und Wärme breitet sich in ihr aus. „Sind auf den Tischen herumgelaufen und erst
gegangen, wenn der Hausmeister uns rausgeworfen hat. Ich war spät zu Hause, der
Tag vorbei, aber es war mir egal, weil ich ihn mit ihr verbringen konnte.“
„Und egal, wohin sie wollte –“
„- ich bin ihr überallhin
gefolgt.“
„Ihr seid zusammen Drachenboot
gefahren. Klassenfahrten.“
„Und ich war ihre beste Freundin.
Ich war es, mit der sie das Zelt teilen wollte, keine der anderen.“
Josie grinst. Siehst du, denkt sie, da ist die alte Sehnsucht. Sie hat dich niemals losgelassen, Liebes.
„Du hast es geliebt, wenn sie
dich umarmt hat, nicht wahr?“
„Ja.“, antwortet Finn leise. „Wenn
sie mich in ihrer Nähe sein ließ. Mir zeigte, dass ich ihr etwas bedeute, und
sei es nur dadurch, dass sie mich anderen Freundinnen vorzug.“
„Und du sehnst dich immer noch
nach ihr.“, sagt Josie, rollt sich auf den Rücken und streckt die Hand nach den
Sternen aus. „Du suchst auf google nach ihr. Du suchst ihr Gesicht, wenn du in
der Stadt bist. Du suchst nach anderen Freunden, die sie noch kennen könnten.
Du hoffst, sie wiederzusehen, und du kannst nicht loslassen. So viel Sehnsucht,
olle Finn.“
Finn beißt sich nur auf die Lippe,
aber sie weiß es.
„Manchmal gehst du absichtlich
einen Umweg über die Stadt. Gibst dir selbst vor, irgendetwas besorgen zu
müssen, und gehst absichtlich langsam. Wirfst einen Blick in die Läden, in
denen sie sich aufhalten könnte, weil du hoffst, ihr zufällig über den Weg zu
laufen. Hast du denn vergessen, wie die Freundschaft damals auseinander
gegangen ist, Finn?“
„Wir haben einfach aufgehört, miteinander
zu reden.“, wispert Finn, der Blick in die Nacht gerichtet und doch völlig
woanders. Sie hat niemals das geliebte Gesicht vergessen. „Ich hab gemerkt, wie
wir uns entfernen, und es hat mir Angst gemacht. Ich hab versucht, sie
festzuhalten.“
„Und je stärker du sie an dich
ziehen wolltest, je verzweifelter du immer wieder bei ihr angerufen hast,
während sie sich schon längst nicht mehr nach dir erkundigte, desto mehr
entfernte sie sich von dir.“, wispert Josie. „Euer gemeinsamer Sushiabend. Du
hast das Sushi zubereitet, sie hat sich vor deinen Laptop gesetzt und auf ICQ
mit anderen Freunden geschrieben. Das hat sich in dein Herz gegraben, hm? Und
der letzte Anruf. Du wolltest sie zu deinem Geburtstag einladen – da hattet ihr
schon fast ein Jahr nicht mehr miteinander geredet. Sie dich zu ihrem
Geburtstag bereits völlig ignoriert, aber du warst verzweifelt.“
„Ich hab sie vermisst.“, murmelt
Finn und spürt, wie die alte Sehnsucht ganz und gar nicht alt ist, sondern noch
so frisch und schmerzlich wie immer, wie am ersten Tag. „Und ich hatte Angst,
weil ich wusste, dass ich sie verloren hab.“
„Einfach eine Freundschaft, die
sich auseinander gelebt hat.“, lächelt Josie, streckt eine Hand nach Finn aus
und streicht ihr durch die Haare. „Jedenfalls für eine von euch. Für dich hat
das nie aufgehört. Du hast immer versucht, dich zu überreden, dass es halt
vorbei ist, auseinander gelebt, passiert, man vergisst sich irgendwann. Sei
ehrlich, Finn – gab es seitdem auch nur einen Tag, an dem du nicht an sie
gedacht hast?“
Darüber muss Finn nicht einmal
nachdenken. Selbst die Tage, an denen sie krank im Bett gelegen hat, selbst
Tage, an denen Prüfungsstress sie vereinnahmt, selbst fröhliche, ausgefüllte Tage
– „Nein.“, wispert sie.
„Und du suchst ihr Gesicht, wann
immer du durch die Straßen läufst. Du hast sogar einmal eine alte gemeinsame
Freundin von euch getroffen, aber selbst die konnte dir nur ein paar Infos
geben. Weißt du, Finn, wenn du dir Mühe geben würdest – du weißt, in welchem
Club die gute alte Jessie öfters ist. Wenn du dahingehen würdest, irgendwann
würdest du ihr bestimmt über den Weg laufen. Jedenfalls mit hoher
Wahrscheinlichkeit. Du könntest sie einfach danach fragen, nach einer Emailadresse,
einem facebook-Profil, irgendeinem Anhaltspunkt. In deinem Inneren weißt du
doch, dass sie dir ziemlich sicher weiterhelfen könnte. Warum gehst du nicht einfach?“
Und Finn schweigt. Schweigt so
lange, dass Josie aufsteht, sich neben Finn setzt und sie in den Arm nimmt.
Gesegnet seien Gedankenpaläste – die einzigen Orte, wo das eigene
Unterbewusstsein das Bewusstsein umarmen kann. Und mit ihm argumentieren.
„Weil du Angst hast.“, wispert
Finns Unterbewusstsein. „Angst, dass ihr noch unterschiedlicher geworden seid.
Angst, dass es das Mädchen, das du immer noch so verzweifelt liebst, dass du
der vagen Chance wegen sie zu sehen, Umwege läufst, nicht mehr gibt. Dass sie
sich so verändert hat, dass du ein Mädchen liebst, das nur noch Erinnerung ist.
Oder, noch schlimmer – das sie auch jetzt nur Distanz zu dir aufbaut. Dass sie
dich gar nicht wiedersehen will und es unheimlich findet, welche Mühen du auf
dich nehmen würdest, um sie zu finden. Du hast Angst, Finn, solche Angst. Du
verliebst dich in andere, erst Henning, dann Ole. Aber tief innen, die wahre Liebe,
die, die dich glühen und brennen lässt, das ist dieses Mädchen.“
Finn schweigt, und im
Gedankenpalast weht ein warmer Wind in einer sternenklaren Sommernacht, und das
Windspiel klimpert.
„Aber was soll ich denn machen?“,
wispert sie, während in ihr die Sehnsucht brennt. „Was soll ich denn machen?“
„Wenn du nicht ewig damit leben
willst? Springen. Über deinen Schatten springen und sie wirklich suchen. Such
diese Freundin, Finn. Frag sie. Gib nicht nach. Ihre Eltern wohnen bestimmt
noch da, wo sie früher wohnte – sag, du willst ein Klassentreffen organisieren.
Irgendwas. Wenn dich die Verzweiflung überwältigt, Finn, gibt es immer einen
Weg. Oder willst du ewig so leben, mit dieser Sehnsucht im Herzen und einem Aber was, wenn nicht?“
Finn schweigt. Und obwohl es nur
eine Antwort gibt, regiert die Angst in ihr.
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