Ich bin mit "Remember" beim NaNoWriMo eingestiegen, und bisher ... macht es mir regelrecht Angst, Szenen zu schreiben, die schon seit Jahren geplant sind und immer nur in meinem Kopf existierten. Gleichzeitig sehe ich, wie sehr ich diese Geschichte liebe ... wie viel Herzblut ich in sie hineinstecke, bei jedem Wort, bei jedem Lied, das ich höre, an diese Leute darin denken muss, und bei den besonders schönen Liedern fast weine. So sehr liebe ich diese Geschichte - so sehr liebe ich es, an ihr herumzuformen, an ihr zu basteln, ihre Handlung weiter und weiter voranzutreiben und zu fühlen, was die Charaktere fühlen. So sollte das Schreiben immer sein.
Und deshalb hier eine Szene, die erst am Ende vorkommen wird. Ich sage nicht, wer stirbt, denn diese Geschichte wird ganz bestimmt eines Tages auf fanfiktion.de stehen, und dann will ich nicht, dass jemand weiß, wer sterben wird. Doch in diesem Auszug hier unten stirbt jemand. Und ich weiß nicht mehr, ob ich es schaffen werde, diesen Jemand wirklich endgültig sterben zu lassen.
Ein Bild fällt zu Boden, auf dem lachende Gesichter zu sehen sind. Zögernd schaut ein anderes über die Kante, langsam, zögerlich bewegt es sich nach unten, hier ein bisschen rutschend, dort die Ecke etwas weggepustet vom sanften Wind. Es segelt hinunter, das Bild verzerrt sich. Auch auf diesem Foto ist ein Lächeln. Von einer jungen, rothaarigen Frau, die unsicher aussieht, aber ihr Lächeln ist ehrlich. Ihre Haare leuchten rot und ihre Hände sind sanft, und ihr Wille ist stark. Ihr Herz zerspringt fast vor Liebe zu so vielen, doch sie lässt keinen von ihnen alleine. Eines Tages wird sie von ihnen alleine gelassen werden. Doch die Frau, die auf diesem Bild lächelt, ist davon noch entfernt und weiß davon noch nichts.
Ein anderes Bild wird von einem leichten Windstoß angehoben und segelt auf die Tischkante, verharrt dort einen Augenblick und entscheidet sich dann für das Unten. Als es fällt, sieht man für einen kurzen Moment das Abbild, einige junge Leute mit spitzen Ohren und Schwertern, die zusammen stehen in einer Gruppe. Ein Mann mit schwarzen, kurzen Locken lächelt eine junge Frau mit starken Augenringen an, die so fragil erscheint, als zerbräche sie jeden Augenblick, und jemand anders hat einem großen Mann mit schlecht gelaunter Miene augenscheinlich verärgert, denn der Mann hat den anderen, grinsend und die Hände unschuldig erhoben, am Kragen gepackt. Eine selbstbewusste junge Frau hat ihn am Arm gepackt und versucht, den Griff zu lösen, während sie, wie es aussieht, wütend auf ihn einredet, die andere Hand in die Seite gestemmt. Am Boden hocken zwei sich so ähnliche Personen, ein Mann und eine Frau, die noch gar nicht richtig erwachsen aussehen, jeder einen großen Lutscher im Mund und einige aus den Manteltaschen ragend, und das Mädchen hält ein kleines Buch in der Hand, und der Junge deutet auf etwas darin. Im Hintergrund sind andere. Ihre Mienen sind schlecht gelaunt, gut gelaunt, verlegen, verärgert, verwirrt, müde … niemand hat sich ein Lächeln aufgezwungen. Auf diesem Bild sind sie, wie sie sind. Es ist eine liebe Erinnerung geworden.
Ein Bild fällt hinunter, gefolgt von noch einem. Der Haufen Bilder auf dem Tisch wird durcheinander geworfen, als sie in die Luft gewirbelt werden, zu einem Walzer aufgefordert, dann fallen gelassen und segeln hinab. Dort ist ein Bild, dessen Ecken angekokelt und angerissen sind, und dort ist ein Mann zu sehen mit einem kleinen Jungen, ein anderes Bild segelt hinab, das auseinandergerissen und sorgsam geflickt wurde, das Bild einer Gruppe von Leuten, es sind sieben. Eine von ihnen ist die Frau mit den roten Haaren, eine andere hat braune Haare und sieht schlecht gelaunt aus, da ist ein Mann mit hellen, fast weißen Haaren, ein anderer mit Verbänden gewickelt um die untere Gesichtshälfte, jemand mit einer Sichel in der Hand und einem freundlichen, immer verständnisvollen Lächeln, und jemand mit schmalen Augen in einer Rüstung und einer langen Narbe über einem der Augen. Man spürt die Verbindung zwischen ihnen, und ein anderes Bild fällt, so schnell, dass man kaum einen Blick darauf erhaschen kann, es ist ein kleiner Junge mit Süßkram in den Taschen und einem starren, puppenhaften Gesicht, einem seltsamen breiten Lächeln, mit großen, runden, schwarzen Augen, an der Hand der rothaarigen Frau. Dort, andere Bilder fallen, jetzt so schnell, dass kaum ein Blick auf sie möglich ist – der Wind bläst stärker, will auch die ältesten zu Fall bringen, die Bilder, die im Stapel ganz unten liegen, die an den Rändern gelb und angekokelt und zerrissen und zerknittert sind, doch immer noch gut zu erkennen. Nur eines zerfällt zu Asche. Die Bilder fallen und fallen, und sobald man sie in der Finsternis nicht mehr sehen kann, existieren sie nicht mehr. So fallen sie, immer mehr und mehr und mehr, und der Wind nimmt so viel an Stärke zu. Eines der alten Bilder fällt, und ein Windstoß wirbelt es noch einmal nach oben. Eine junge Frau mit spitzen Ohren ist darauf, und ihr Haar ist ganz normal braun, ihre Haut so blass, dass sie kränklich wirkt, und sie lächelt nur zögern und nur ein bisschen, denn sie hat auch schon zu den Zeiten nicht viel gelächelt, als sie noch kein bloßes Foto auf diesem Tisch war. Aber Licht fällt hinter ihr durch die Bäume und scheint auch durch sie, und sie scheint zu leuchten, und für denjenigen, dem diese Fotos gehörten, tat sie das auch stets.
Ein Schwung an Bildern fällt und viel zu schnell sind sie verschwunden. Nur einige, sehr alte Bilder liegen noch auf dem Tisch, die sich hartnäckig weigern, zu fallen. Der Wind zerrt an ihnen. Ihre Ecken flattern. Auf einem ist eine Familie abgebildet, die wirklich und glücklich lächelt. Auf einem anderen sind brennende Leichen, schwarze, verkohlte Holzbalken und ein Skelett, dem das Fleisch von den Knochen gefault ist. Dort ist ein kleines Mädchen, das tot ist, es liegt zusammengekrümmt in einem Kessel wie ein Embryo, und ihre Haut ist rot und verbrannt. Dort sind Bilder, die vom Feuer gefressen werden, dort ist ein Mann, auf dessen Foto Blut gespritzt ist, der grinst und stark scheint, doch Blut ist auf seinem Bild. Da ist ein anderer Mann, der auf einem Scheiterhaufen steht und lächelt, da ist eine zerschrammte und zerprügelte junge Frau, der der Wahnsinn ins Gesicht geschrieben ist und die kaum noch bemerkt, dass dem toten Kind in ihren Armen das faulende Fleisch von den Knochen fällt.
Der Wind löst auch diese Bilder von der zerkratzten Tischfläche. Symbole sind dort hineingeritzt, doch der Tisch löst sich auf in Staub, sobald auch das letzte Bild verschwand, und der Sturm bläst sie alle hinab, bis nur noch Finsternis und Nichts bleibt.
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